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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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porträtiert.
    Brianda hatte vom Leben nicht mehr verlangt, als all diese Gaben dankbar und in Frieden genießen zu können, und sie wäre nur zu gerne bereit gewesen, dafür die Sitten und Bräuche der Menschen anzunehmen, mit denen sie zusammenlebte. Aber ihre Schwester hatte das nicht zugelassen. Immer musste Gracia ihren Kopf durchsetzen, sich gegen das Schicksal auflehnen, immer musste alles so sein, wie sie es für richtig hielt - angeblich um Gottes Willen zu erfüllen. Doch warum in aller Welt durfte Reyna nicht diesen Spanier heiraten? Damit die Familie nun durch ganz Europa verstreut wurde? Sollte das wirklich Gottes Wille sein? Oder hieß es nicht vielmehr, Gott ins Handwerk zu pfuschen, wenn man immer wieder aufs Neue seine Zelte abbrach, anstatt dort zu bleiben, wohin es einen verschlagen hatte? Brianda bereute, dass sie in die Flucht eingewilligt hatte. Nur die Liebe zu Tristan, die bei der Nachricht vom Tod seiner Frau in ihrem Herzen wieder aufgelodert war wie ein Feuer aus einer tot geglaubten Glut, hatte sie dazu verleitet. Doch je länger die Reise dauerte, umso größer wurde ihre Angst vor der Ankunft in Venedig. Das Wiedersehen mit Tristan würde ihr nur Schmerzen bereiten. Auch wenn die Französin gestorben war - Brianda war eine verheiratete Frau, und solange Diogo lebte, war es ihr verboten, ihrer Liebe nachzugeben. Und wer weiß, vielleicht hatte Tristan inzwischen eine schöne Venezianerin geheiratet und wollte gar nichts mehr von ihr wissen ...
    Während der Wagen in Richtung Straßburg rumpelte, fasste Brianda einen Entschluss. Sollte Gott sie noch einmal an einen Ort führen, wo sie sich ihres Lebens erfreuen könnte, ohne dass es ihr an etwas fehlte, so würde sie diesen Ort nie wieder verlassen. Das schwor sie bei allem, was ihr heilig war - gleichgültig, was ihre Schwester auch immer entscheiden würde ... »Warum halten wir?«, fragte La Chica. »Ist etwas kaputt?« Brianda hatte gar nicht gemerkt, dass der Wagen stehengeblieben war. Sie schob den Vorhang beiseite und schaute hinaus. Doch sah sie wirklich, was da stand? Neben ihrem Fuhrwerk hielt eine Überlandkutsche der Thurn-und-Taxis-Post, und aus dem Wagen stieg... »Gracia!«
    Im nächsten Moment lagen sich die Schwestern in den Armen. »Was bin ich froh, dich zu sehen!«, sagte Gracia und drückte sie an sich.
    »Und ich erst«, rief Brianda. »Ich hatte solche Angst, euch zu verpassen. Aber warum bist du überhaupt hier? Ihr wolltet doch mit dem Schiff von Rotterdam nach Straßburg ...« Mitten im Satz hielt sie inne. »Wo ist Diogo?«, fragte sie. »Diogo ist in Brüssel«, erwiderte ihre Schwester. »In Brüssel? Warum?«
    »Das erkläre ich dir unterwegs«, sagte Gracia. »Hol La Chica vom Wagen. Wir fahren mit der Kutsche voraus. Wir müssen Reyna und José finden, bevor sie heiraten. Damit kein Unglück geschieht!« Und als sie Briandas verständnisloses Gesicht sah, fügte sie hinzu: »Beeil dich! Es ist zu Diogos Sicherheit!«
     

46
     
    Es war nur ein dünnes Geläut, ein armseliges, zerbrechliches Bimmeln, das sich in dem grauen elsässischen Himmel verlor, als Reyna und José in der zugig kalten Dorfkirche von Schiltigheim vor den Traualtar traten. Ihre Zeugen waren ein Apotheker und ein Arzt, die einzigen Menschen im Ort, die außer dem Pfarrer lesen und schreiben konnten. Sie sollten mit ihrer Unterschrift die Schließung der Ehe bestätigen, unter einer Urkunde, die José mit einem Kurier nach Flandern schicken würde, sobald die Trauung vorüber wäre. Nur wenn Aragon schwarz auf weiß lesen könnte, dass die Ehe vor Gott und der Welt Gültigkeit hatte, würde er auf die Verfolgung seiner ehemaligen Braut verzichten. So hatten sie es geplant. »Dominus vobiscum.«
    Ein zahnloser, nach Branntwein stinkender Pfarrer in einer schmutzigen Soutane nahm die Trauung vor, die sich schon seit einer Ewigkeit hinzog. Immer wieder verhedderte er sich im Text, schlug mehrmals das Messbuch an einer falschen Stelle auf, und hätte der Mesner, der ihm ministrierte, ihn nicht mit einem Rippenstoß aufmerksam gemacht, hätte er anstelle der Trauformel noch den Taufsegen gesprochen. Unsicher schaute Reyna ihren Cousin an. Ob der Priester es wohl schaffte, die Zeremonie zu beenden, bevor die Dunkelheit hereinbräche? »Et cum spiritu tuo.«
    José nahm die Ringe aus der Tasche, die sie in Straßburg gekauft hatten. Eigentlich hatten sie schon dort heiraten wollen, im Münster, aber der Domherr hatte sie abgewiesen. Ihre Namen

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