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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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der Kaiser, und der braucht Geld für seine Kriege. Das ist unsere beste Versicherung! Einen toten Juden kann man nur einmal ausrauben, einen lebenden immer wieder ...«
    »Redet in einer Sprache, die ein Christenmensch versteht«, fuhr Aragon dazwischen. »Und steigt endlich ein, zum Teufel noch mal!«
    Gracia zögerte immer noch.
    »Glaub mir«, sagte Diogo auf Portugiesisch, »in ein paar Wochen sind wir wieder zusammen.« Und leise fügte er hinzu. »In Venedig.«
    »Bist du sicher?« »Ganz sicher.«
    Schweren Herzens ließ sie seine Hand los und bestieg den Wagen. Dann beugte sie sich noch einmal zum Fenster hinaus. »Ich werde versuchen, Reyna und José abzufangen«, flüsterte sie. »Um das Schlimmste zu verhindern. Wenn sie heiraten, wird Aragon rasen vor Wut.«
    »Pssst«, machte Diogo und trat so nah an den Schlag heran, dass sie seinen Atem spürte. »Wir werden glücklich sein in Venedig«, sagte er dann. »Es heißt, nirgendwo gibt es so viele Tauben wie dort.«
    Obwohl ihr zum Heulen zumute war, versuchte sie zu lächeln. Er sollte ihre Zuversicht in Erinnerung behalten, nicht ihre Angst. »Ich liebe dich«, flüsterte sie.
    »Ich dich auch«, sagte Diogo, und ohne auf Aragon zu achten, küsste er sie auf den Mund. Noch einmal waren sie eins, für einen kurzen, ewigen Augenblick. Dann lösten sich ihre Lippen, und bevor sie noch etwas sagen konnte, wandte Diogo sich ab und schlug mit seinem Hut den Pferden auf die Kruppe. Mit einem Ruck fuhr die Kutsche an. Gracia wurde auf die Bank zurückgeworfen, und im scharfen Trab rasselte der Wagen zum Burgtor hinaus.
     

45
     
    Der Turm des Straßburger Münsters, so hatte Brianda gehört, sei der höchste Turm der Welt. Er rage so hoch in den Himmel empor, dass seine Spitze die Wolken berühre, und bei gutem Wetter könne man ihn schon zwei Tagereisen im Voraus sehen.
    Ein Schmied hatte ihr das erzählt, in Merzig, einem Dorf zwischen Trier und Saarbrücken, wo der zweite Wagen ihres Trosses mit einem Achsenbruch liegengeblieben war. Das war jetzt eine Woche her. Seitdem schlug Briandas Herz bei jedem Kirchturm höher, den sie am Horizont erblickte, in der Hoffnung, Straßburg zu erreichen, den Ort, wo sie mit ihrem Mann und ihrer Schwester verabredet war. Ab Straßburg wäre sie nicht mehr allein mit ihrem Kind. Jeden Morgen betete sie zu Gott, dass sie die zwei nicht verpasste. »Wann sind wir endlich da?«
    La Chica war auf ihrem Schoß aufgewacht und blinzelte sie an. »Bald, mein Herzchen, bald.« »Wann ist bald?«
    »Pssst, schlaf weiter und träum was Schönes. Dann geht es am schnellsten.«
    »Immer sagst du, ich soll schlafen. Ich kann aber nicht mehr schlafen.«
    Noch während La Chica sprach, fielen ihr die kleinen Augen wieder zu. Brianda zog den Vorhang vor das Fenster. Sie konnte die Ungeduld ihrer Tochter nur zu gut verstehen - ihr selbst erging es ja nicht anders. Nie hätte sie gedacht, dass die Zeit so langsam verstreichen könnte wie auf dieser endlos langen Fahrt. Womit hatte sie eine solche Tortur verdient? Grün und blau war ihr Körper schon von den Schlaglöchern, immer wieder blieb eines der Fuhrwerke liegen, und obwohl sie die Pferde regelmäßig wechselten, kamen sie kaum einen Tag weiter als zehn Meilen. Wenn es regnete, drang Feuchtigkeit durch alle Ritzen, und wenn die Sonne schien, wurde es so heiß und stickig, dass es kaum auszuhalten war. Und dann die ständige Angst vor Überfällen. Zweimal schon war der Tross angegriffen worden, einmal in Flandern und einmal hinter Aachen, und ihr Leben verdankte Brianda nur der Tatsache, dass sie den bewaffneten Reitern, die sie begleiteten, für jeden getöteten Wegelagerer ein Kopfgeld von einem halben Dukaten versprochen hatte. Dabei lag der schwierigste und gefährlichste Teil der Reise noch vor ihr. Um über die Alpen zu gelangen, so hatte der Schmied in Merzig behauptet, mussten die Fuhrwerke in sämtliche Einzelteile zerlegt und zusammen mit all ihrem Hab und Gut auf Maulesel verfrachtet werden.
    Brianda stieß einen Seufzer aus. Wozu all diese Strapazen? Wozu all die Angst?
    Sie hatten es so gut gehabt in Antwerpen, fast so gut wie früher in Lissabon. Sie hatten ein eigenes Haus mit großem Gesinde, täglich drei warme Mahlzeiten und jeden Abend ein frisch bezogenes Bett. Sie waren reich und geachtet gewesen. Auch wenn ihr Mann sie nicht liebte: Er hatte ihr fast jeden Wunsch erfüllt, sie hatte sich stets nach der neuesten Mode gekleidet, und berühmte Maler hatten sie

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