Die Gottessucherin
wagen - ich meine, wenn die Hochzeit zwischen mir und Eurer Tochter nicht zustande kommt, dann ... dann ...« Vor ohnmächtiger Wut geriet er ins Stammeln.
Cornelius Scheppering brachte den Satz an seiner statt zu Ende, ruhig und gefährlich: »Dann werdet dafür nicht nur Ihr, Dona Gracia, und das Haus Mendes büßen, sondern alle Conversos in Antwerpen. Einschließlich der Geiseln auf den Schiffen Eurer Firma im Hafen. Ob Mann oder Frau, jung oder alt.« Gracia wusste, was die Drohung bedeutete. Sie wogen die Entführung ihrer Tochter gegen das Leben ihrer Glaubensbrüder auf - deren Leben gegen Reynas Seele! Die Drohung war eine solche Niedertracht, dass es Gracia die Sprache verschlug. Sie hatten sie in die Enge getrieben wie ein Tier im Pferch. »Nun«, fragte Cornelius Scheppering mit dünnem Lächeln. »Wie lautet Eure Antwort? Wo finden wir Eure Tochter?« Gracia spürte, wie sich das Gefühl von Ohnmacht in Jähzorn verwandelte, und biss sich auf die Lippen. Während der süße Geschmack des Blutes sich in ihrem Mund ausbreitete, suchte sie verzweifelt nach einem Ausweg. Wenn sie Reyna preisgäbe, versündigte sie sich an Gott. Doch wenn sie Reyna rettete, sie vor der Sünde bewahrte, mussten Hunderte Menschen sterben. Was konnte sie vorbringen, um aus diesem Pferch auszubrechen? »Ja, meine Tochter Reyna ist auf dem Weg nach Venedig«, sagte sie schließlich. »Zusammen mit meinem Neffen José Nasi. Um der geplanten Hochzeit zu entkommen.«
»Du verdammtes Judenweib!«, schrie Aragon. »Aber ich gestehe«, fuhr Gracia an die Regentin gewandt hinzu, »dass dies ein Fehler war, und ich verspreche, diesen meinen Fehler wiedergutzumachen.« »Wie soll das geschehen?«, fragte die Regentin. »Indem ich beide zurückhole nach Antwerpen, meine Tochter und meinen Neffen.«
»Glaubt ihr kein Wort!«, rief Aragon. »Sie will sich nur dem Herrschaftsbereich des Kaisers entziehen!«
»Ich gebe Euch mein Ehrenwort«, sagte Gracia, ohne auf ihn zu achten. »Außerdem steht der Kaiser mit zweihunderttausend Dukaten in der Schuld der Firma Mendes. Das ist ein sicheres Pfand.«
»Dieses Pfand ist so wenig wert wie das Ehrenwort einer Jüdin«, erwiderte Cornelius Scheppering. »Sobald ein Gericht Euch und Diogo Mendes verurteilt, ist der Kaiser von jeder Schuld befreit. Er hat also keine Veranlassung, den Kredit zurückzuzahlen. Wenn Ihr wollt, dass wir Euch vertrauen, müsst Ihr eine bessere Sicherheit bieten.«
»Allerdings«, bestätigte die Regentin. »Wer gibt uns die Garantie, dass Ihr es Eurer Tochter nicht gleichtut?« Gracia verstummte. Aller Augen waren auf sie gerichtet, sogar Aragon war stehen geblieben und blickte sie an. Es war so still im Saal, dass man das Gurren der Tauben draußen vor den Fenstern hören konnte.
»Ich!«, ertönte plötzlich eine Männerstimme.
Gracia fuhr herum. In der Tür stand Diogo. Er lüftete seinen Hut, um sich vor der Regentin zu verbeugen.
Dann trat er vor und sagte: »Nehmt mich als Pfand, Königliche Hoheit. Ich werde freiwillig in Eurem Gewahrsam bleiben - so lange, bis Dona Gracia und ihre Tochter zurück sind.«
44
Unter scharfer Bewachung nahm Gracia im Burghof Abschied von Diogo. Die Kutsche, die sie nach Antwerpen bringen sollte, stand schon in der Auffahrt bereit. »Leb wohl«, sagte Diogo.
»Sag nicht Lebwohl«, erwiderte sie. »Ich hasse dieses Wort. Es bringt nur Unglück.«
»Du hast recht«, sagte er. »Der Herr ist mit uns. Masel tov!« »Masel tov!«, sagte auch sie.
Doch als sie Diogo die Hand gab, zerriss es ihr das Herz. Sah sie ihn in diesem Augenblick vielleicht zum letzten Mal ? Nach so vielen Jahren, in denen sie ihre Gefühle für ihn geleugnet hatte? Alles in ihr drängte danach, sein Gesicht zu berühren, ihn zu küssen, noch einmal seine Lippen zu spüren, seinen Atem, seine Liebe. Aber das konnte sie nicht. Zwei Gardisten flankierten sie mit gezogenem Säbel, und Aragon stand auf der Treppe des Palasts und verfolgte jede ihrer Bewegungen. Und jedes ihrer Worte. »Soll ich nicht lieber bleiben?«, fragte sie auf Hebräisch, damit der Spanier sie nicht verstünde.
»Auf gar keinen Fall«, sagte Diogo. »Du musst fahren. Es ist unsere einzige Chance.« »Aber ... aber wenn sie dir etwas antun?« »Mach dir keine Sorgen. Es geht ihnen nur ums Geld. Wie immer.«
»Gott gebe, dass du recht hast. Aber ich fürchte, die Regentin und ihr Mönch wollen nicht unser Geld - sie wollen unsere Seelen.« »Vielleicht. Aber am Ende entscheidet
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