Die Gottessucherin
Mendes«, rief er dann und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Ich klage Euch an wegen Hochverrats!« Diogo musste laut lachen, so absurd war der Vorwurf. »Hochverrat?«, fragte die Regentin. »Mit welcher Begründung?«
»Dieser Mann«, erklärte Aragon, »hat ein Attentat auf mich geplant, auf den Generalkommissar des Kaisers.« Plötzlich blieb Diogo das Lachen im Halse stecken. Eine dunkle, böse Ahnung stieg in ihm auf.
»Das ... das ist eine Verleumdung«, stammelte er. »So - eine Verleumdung?«, erwiderte Aragon und trat so dicht an ihn heran, dass sich ihre Gesichter fast berührten. »Ihr habt mich hintergangen, Diogo Mendes, Ihr habt mich belogen und verraten. Weil Ihr glaubtet, Ihr könntet mich kaufen, so wie Ihr glaubtet, mit Eurem Geld die ganze Welt kaufen zu können. Aber Ihr habt Euch verrechnet! Ganz und gar verrechnet!« Diogo sah den Hass in Aragons Augen, die verletzte Eitelkeit und Wut. »Nennt Euren Preis«, zischte er, so leise, dass niemand sonst ihn hörte. »Ich werde alles tun, was Ihr verlangt.« »Meinen Preis?«, erwiderte Aragon und stieß ihn mit beiden Händen zurück. »Ihr habt die Ehre eines Spaniers verletzt. Und Ehre hat keinen Preis!«
Ohne Diogo aus den Augen zu lassen, schnippte er mit dem Finger, und während er beiseite trat, öffnete ein Lakai die Tür. Herein kam ein Mädchen, ein halbes Kind noch, mit blondem Haar. Verlegen blieb es stehen und rieb sich mit dem linken Holzschuh das rechte Schienbein. »Frauke ...?«
Als Diogo ihren Namen sagte, schaute sie zu Boden. In diesem Augenblick begriff er, dass er verloren hatte. »Nun? Erkennt Ihr Eure Küchenmagd wieder?«, fragte Aragon und winkte das Mädchen zu sich. »Erzähl uns, was du gehört hast, aus dem Mund deines Herrn.« Um sie zu ermuntern, tätschelte er ihre Wange - eine zarte rosa Kinderwange. Plötzlich wusste Diogo, wo er das Mädchen zum ersten Mal gesehen hatte, wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Sie war die kleine Hure aus dem Goldenen Anker, Aragons Belohnung, die er dem Spanier spendiert hatte, nachdem die Gloria mit den Flüchtlingen an Bord im Hafen von Antwerpen eingelaufen war.
»Ja, Frauke hat Euch in meinem Auftrag belauscht«, sagte Aragon, »ich selbst habe ihr dafür Portugiesisch beigebracht.« Cornelius Scheppering hob mit feinem Lächeln die Hand. Gleich darauf erschienen zwei Gardisten in der Tür, mit gekreuzten Lanzen, um den Ausgang zu versperren. Diogo schloss die Augen.
>Man muss den Herrn auch für das Böse preisen ...<
48
Leise plätscherten die Wellen gegen die Planken der Esmeralda, wie um die Menschen im Bauch des Schiffes, die dicht an dicht zur Nachtruhe lagen, in den Schlaf zu wiegen. Trotz der vielen Wochen an Bord hatte Samuel Usque sich noch immer nicht an den Gestank unter Deck gewöhnt. Während Benjamin sanft und friedlich neben ihm schlummerte, lag er wach auf seinem Strohsack und starrte in die Finsternis, die nur vom spärlichen Licht des Mondes draußen erhellt wurde. Längst war die Felicidade aus Lissabon zurückgekehrt, ohne dass man die Flüchtlinge an Land gelassen hätte. Doch es ging das Gerücht, Dona Gracia sei nach Brüssel gereist, um über ihre Freilassung zu verhandeln. Hatte ihre Gefangenschaft also bald ein Ende? Irgendwo wachte jemand hustend auf, doch kaum hatte er sich geräuspert, fiel er mit lautem Schnarchen wieder in den Schlaf. Wie viele Menschen, wie viele Schicksale waren hier versammelt ... Samuel kannte die Geschichten sämtlicher Flüchtlinge an Bord. Sie alle hatten Tote in der Heimat zurückgelassen, Ehemänner und Frauen, Eltern und Kinder, Brüder und Schwestern, die ermordet und verbrannt worden waren, nur weil sie nach den Vorschriften ihres Glaubens hatten leben wollen, weil sie gleich ihren Vätern den Sabbat geheiligt, Schweinefleisch verschmäht und ihre Söhne beschnitten hatten. Doch keiner dieser Toten sollte je vergessen werden, sie sollten leben, auch über ihren Tod hinaus. Denn Samuel Usque würde aufschreiben, was ihnen im Namen des dreifaltigen Gottes widerfahren war, um Zeugnis abzulegen für alle Zeit.
Über Deck wurden plötzlich Stimmen laut, Stiefelschritte dröhnten, und im nächsten Moment ging die Klappe über dem Niedergang auf. Eine Lampe leuchtete in die Dunkelheit. Samuel rüttelte seinen Bruder wach. War der Augenblick gekommen? Der Augenblick ihrer Befreiung?
»Gelobt sei der Herr!«, rief jemand. »>Das Volk Israel, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht.< Wie es geschrieben
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