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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Agenten steuern, um all das Geld zu verdienen, das sie brauchten, um den verfolgten Juden in ihrer Heimat zu helfen? Nein, sosehr sie sich eine Wohnung im Ghetto wünschte - die Interessen der Firma und ihrer Glaubensbrüder durfte sie darum nicht verraten. Also beschloss sie, vorerst bei ihrer Schwester Quartier zu nehmen. Erst wenn Diogo da wäre, würde sie endgültig entscheiden, wo sie wohnen wollte.
    Während Gracia jeden Morgen zum Hafen fuhr, um zusammen mit ihrem Neffen José im Kontor der Firma die Geschäfte zu führen, verbrachte Brianda die Tage des Wartens damit, den neu bezogenen Palazzo für Diogos Ankunft herzurichten. Tischler und Drechsler, Stuckateure und Maler gingen ein und aus, von früh bis spät hallten die hohen Marmorflure vom Rufen und Lärmen der Handwerker wider, die sich jede erdenkliche Mühe gaben, Briandas Wünsche in die Tat umzusetzen, in der Hoffnung auf ein Lächeln der schönen Hausherrin. Brianda suchte gerade mit einem Tapezierer verschiedene Seidenstoffe aus zur Bespannung ihres Bilderkabinetts, als ein Diener Besuch meldete. Mit klopfendem Herzen wandte sie sich zur Tür. Wer mochte das sein? Vielleicht ihr Mann? Doch als der Tapezierer mit seinen Stoffen über dem Arm den Raum verließ, trat ein Fremder herein, ein schwarz gewandeter Jude mit Schläfenlocken und gelbem Hut, der sie von ferne an Francisco Mendes erinnerte.
    Plötzlich setzte ihr Herz für einen Schlag aus. »Tristan?«, fragte sie ungläubig. »Bist du es wirklich?« »Euer Diener, Dona Brianda«, erwiderte er mit einer Verbeugung. »Ich komme gerade aus Lyon ...«
    Ohne den Satz zu beenden, verstummte er. War er genauso verlegen wie sie? Sie konnte kaum glauben, dass er tatsächlich vor ihr stand, der Mann, mit dem sie einmal verlobt gewesen war, in einem anderen Leben. In ernster Befangenheit erwiderte er ihren Blick. Ihr Herz raste auf einmal wie ein galoppierendes Pferd. »Warum bist du ... warum seid Ihr zu mir gekommen?« »Ich habe Nachricht für Euch. Aus Antwerpen.« Brianda atmete einmal tief durch. »Sind es ... gute Nachrichten?«
    »Leider nein«, sagte er und senkte den Blick. »Man hat unsere Speicher angezündet, und viele unserer Glaubensbrüder wurden verfolgt.«
    Brianda spürte, wie ihr der Mund austrocknete. »Und Dom Diogo?«, fragte sie leise. »Was ist mit meinem Mann?«
     

4
     
    Lautlos glitt die Gondel durch den Canal Grande. Gracia tauchte eine Hand ins Wasser und lehnte sich zurück, um den Sonnenuntergang zu genießen. Sie war in Murano gewesen, auf einer Insel vor Venedig, wo die schönsten Glaswaren hergestellt wurden, die sie je gesehen hatte, kristallene Lüster, die wie die Meereswellen im Abendlicht funkelten, und Gläser von solch dünnwandiger Zartheit, als hätten Engel sie erschaffen. Die Glasbläser verdienten ein Vermögen, doch lebten sie wie Gefangene auf der Insel - unter Androhung der Todesstrafe war es ihnen verboten, ihre Kunst weiterzugeben. Gracia hatte beschlossen, eine ganze Schiffsladung der kostbaren Glaswaren zu kaufen, um sie nach Konstantinopel auszuführen. Amatus Lusitanus hatte ihr geschrieben, dass in der Hauptstadt des Sultans die teuersten Sachen den reißendsten Absatz fänden. Damit könnte sie den nächsten Transport von Flüchtlingen ins Morgenland finanzieren. Diogo würde begeistert sein.
    Diogo ... Der Gedanke an ihn versetzte ihr einen Stich. Was sollte sie tun, wenn er wieder da war? Sie konnten unmöglich zu dritt unter einem Dach leben. Jeder Blick, jedes Wort würde sie verraten. Sie würde sich eine eigene Wohnung nehmen müssen und im Kontor darauf achten, dass immer jemand mit ihnen im Raum war, José oder Tristan da Costa, damit sie keine Gelegenheit hätten, einander zu berühren. Aber wie sollte sie das aushalten ? Diogo würde mit ihrer Schwester nicht nur den Tisch teilen, sondern auch das Bett.
    »Wollt Ihr nicht aussteigen?«, fragte der Gondoliere. Gracia hatte gar nicht gemerkt, dass sie bereits angelegt hatten. Sie raffte ihre Röcke und trat auf den Steg. In der Eingangshalle des Palazzos empfing sie eine ungewohnte Stille. Hatten die Handwerker schon Feierabend gemacht? Ein paar Diener waren dabei, die Kerzen in den Leuchtern zu entzünden. Bei ihrem Erscheinen verdoppelten sie ihren Eifer, doch keiner schaute sie an.
    Sie wollte sich gerade nach ihrer Schwester erkundigen, da kam Reyna ihr aus einer Tür entgegen. Offenbar hatte sie auf ihre Mutter gewartet.
    Als Gracia das Gesicht ihrer Tochter sah, erschrak sie.

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