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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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verdüsterte sich das Gesicht ihres gelehrten Freundes.
    »Es gibt Gerüchte, beunruhigende Gerüchte. Von Verfolgungen und Überfällen auf unsere Glaubensbrüder. Angeblich wurden Hunderte verhaftet. Sogar von Toten ist die Rede.« »Gott behüte!«
    »>Ein Mensch muss Gott für das Böse wie für das Gute preisen<«, sagte Rabbi Soncino. »So steht es von den Weisen im Traktat Brachot geschrieben. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit ganzer Kraft.«
    Gracia holte tief Luft. Man muss den Herrn auch für das Böse preisen ... Wie oft hatte Diogo diesen Spruch gesagt. War er ihm nun zum Schicksal geworden? Auf allen Stationen ihrer Reise hatte sie versucht, Nachrichten von ihm zu bekommen, aber die Auskünfte waren voller Widersprüche gewesen. Niemand wusste verlässlich zu berichten, was seit ihrem Aufbruch in Antwerpen geschehen war.
    Auch Brianda war blass. Mit leiser, ängstlicher Stimme sprach sie die Frage aus, die Gracia nicht zu stellen wagte: »Und Dom Diogo - mein Mann?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte der Rabbiner. »Aber ich bin guten Mutes, dass er lebt. Er ist zu reich, als dass die Edomiter es wagen würden, Hand an ihn zu legen. Niemand schlachtet eine Kuh, die er melken will. Solange wir nichts von ihm hören, sollten wir also unbesorgt sein. Der Herr ist bei ihm und wird ihn schützen.«
    »Glaubt Ihr wirklich?«, fragte Brianda. »Gott hat schon oft zugeschaut, wenn Juden getötet wurden, ohne sich darum zu kümmern.« Sie wandte sich zu Gracia, die Augen voller Angst. »Warum hast du nur Reynas Heirat verhindert?«, flüsterte sie. »Alles wäre gut geworden. Wenn Diogo etwas passiert ...« Noch während Brianda sprach, kehrte Gracia ihr den Rücken zu. Die Angst ihrer Schwester war mehr, als sie ertrug. Brianda konnte wenigstens sagen, was sie empfand - aber sie? Sie war mit ihrer Angst allein.
    »Wo ist Tristan da Costa?«, fragte sie den Rabbiner, um das Thema zu wechseln. »Warum ist er nicht hier? Ich habe ihm eine Depesche geschickt, er muss von unserer Ankunft wissen.« »Euer Agent ist vor Wochen schon nach Frankreich gefahren, nach Lyon«, erklärte Soncino. »Nach Lyon? Wozu?«
    »Eine Anweisung von Dom Diogo. Der letzte Brief, der von ihm aus Antwerpen hier eintraf. Ich glaube, es geht um ein Darlehen für den französischen König.«
    »Ohne dass ich etwas davon weiß?«, fragte Gracia irritiert. Doch dann kam ihr eine Ahnung, mehr Hoffnung als Gewissheit. »Das ist ein gutes Zeichen! Diogo will den französischen König stärken, damit der Kaiser nachgibt. Wahrscheinlich verhandelt er gleichzeitig über die zweihunderttausend Dukaten, die Karl der Firma Mendes schuldet.«
    »Gott wird ihn schützen und leiten«, wiederholte Soncino. »Sobald Tristan da Costa zurück ist, wissen wir mehr. Ich bin sicher, er bringt uns Nachricht aus Antwerpen mit - gute Nachricht, von Dom Diogo.«
    Während Gracia versuchte, die Zuversicht des Rabbiners zu teilen, hörte sie aus der Ferne einen seltsamen, schwermütigen Gesang. Sie hob den Kopf und schaute über den Kanal, der mit leisem Plätschern das Lied begleitete. War ihre Hoffnung stark genug, um die Zweifel zu überwinden? Zwei Tauben flogen am Balkon vorüber und verschwanden in der Dämmerung, wo in der Ferne eine schwarze Gondel über das Wasser glitt. Der Gesang war so schön, dass Gracia schluckte. So konnte nur ein Liebender singen ...
    Rabbi Soncino räusperte sich. »Ich fürchte, ich muss jetzt gehen«, sagte er und erhob sich von seinem Stuhl. »So früh schon?«, fragte Gracia. »Ich hatte gehofft, Ihr würdet vielleicht zur Nacht ...«
    »Das ist leider nicht möglich. Vor dem Ave-Läuten muss ich zu Hause sein. Eine der vielen Merkwürdigkeiten dieser Stadt.«
    Auch die Schwestern standen auf. Rabbi Soncino verabschiedete sich mit einer Verbeugung. In der Tür blieb er noch einmal stehen.
    »Wie ich an Euren Kleidern sehe, seid Ihr als Christen gereist«, sagte er.
    »Die Schutzbriefe des Papstes waren auf unsere christlichen Namen ausgestellt«, erwiderte Gracia.
    »Natürlich«, sagte Soncino. »Aber habt Ihr schon überlegt, wo Ihr nun, da Ihr an Euer Ziel gelangt seid, Wohnung nehmen wollt ?« »Wie sollten wir?«, fragte Brianda. »Wir kennen Venedig ja gar nicht. Aber wenn Ihr von einem Palazzo wisst, der für unsere Zwecke geeignet wäre ...«
    »Das meine ich nicht«, erwiderte Rabbi Soncino. »Nicht in welchem Haus Ihr leben wollt, frage ich, sondern

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