Die Gottessucherin
einem einzigen Raum zu bestehen, der offenbar als Wohn- wie auch als Schlafzimmer diente. So konnte nur ein Mönch leben. Kein Bild hing an den Wänden, nur ein paar Bücher standen in den Regalen. Auf dem Tisch lag der Teffilin, der Gebetsriemen. »Darf ich offen mit Euch reden?«, fragte Brianda, nachdem sie auf einem Stuhl Platz genommen hatte.
»Nur zu«, erwiderte Tristan, der stehen geblieben war. »Ich werde Euch antworten, so gut ich eben vermag.« Sie zögerte einen Augenblick. Doch als sie sein vertrautes Gesicht sah, sein Lächeln, mit dem er ihr zunickte, überwand sie ihre Scheu. »Ich habe meine Schwester im Verdacht, mich mit meinem Mann betrogen zu haben.« Tristan runzelte die Stirn. »Wie kommt Ihr denn darauf?« »Das Testament. Dom Diogo hat Dona Gracia zur alleinigen Erbin eingesetzt.«
»Ich weiß«, erwiderte er, »Dom José hat das Kontor bereits davon in Kenntnis gesetzt, und ich kann mir vorstellen, wie bitter die Nachricht für Euch gewesen sein muss. Wenn Ihr allerdings daraus schließt, dass ...«
»Welchen Schluss sollte ich sonst daraus ziehen?«, unterbrach ihn Brianda.
Tristan ließ nachdenklich seine Schläfenlocken durch die Finger gleiten. »Ich glaube«, sagte er nach einer Weile, »Dom Diogo hatte allein die Belange der Firma im Sinn, als er seine Anordnungen traf. Eure Schwester ist im Gegensatz zu Euch mit den Geschäften bestens vertraut, sie hat ja schon in Lissabon in der Firma gearbeitet. Vor allem aber wollte Dom Diogo, dass das gemeinsame Werk fortgesetzt wird, das er mit Dona Gracia und seinem Bruder begonnen hatte. Und damit meinte er nicht nur den Warenhandel.« »Sondern?«
»Die Hilfe, die unseren Glaubensbrüdern zugutekommt.« Brianda erwiderte seinen Blick. Konnte sie Tristan trauen? Oder steckte er mit Gracia unter einer Decke? Er hatte sie schon einmal enttäuscht - mehr als jeder andere Mensch in ihrem Leben. »Dom Diogo hat meine Schwester sogar als Vormund über unsere Tochter eingesetzt«, sagte sie. »Ist das nicht Beweis genug?« Tristan schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Ich bin sogar sicher, dass Ihr Euch irrt.« »Was verschafft Euch diese Gewissheit?«
Tristan schlug die Augen nieder. Fast hatte sie den Eindruck, dass er errötete.
»Habt Ihr Euch je gefragt, warum ich in Frankreich geheiratet habe?«, sagte er schließlich. »Statt auf Euch zu warten, wie wir es uns versprochen hatten?«
»Nun, ich nehme an, Ihr hattet Eure Gründe«, erwiderte Brianda schärfer, als sie eigentlich wollte. »Aber was hat das mit meiner Schwester zu tun?«
»Mehr als Ihr ahnt«, erklärte Tristan leise. »Dona Gracia hat mir damals nach Lyon geschrieben, Ihr würdet Dom Diogo heiraten - ich solle mir keine falschen Hoffnungen machen. Die Nachricht zerbrach mir fast das Herz. Um nicht zu verzweifeln, gab ich dem Drängen eines Seidenraupenzüchters nach, seine Tochter zur Frau zu nehmen.«
»Deshalb
habt Ihr geheiratet?«, fragte Brianda ungläubig. »Aber es war doch genau umgekehrt! Ich willigte nur in die Heirat mit Dom Diogo ein, weil ich von Eurer Absicht erfuhr, diese Französin ...«
Sie verstummte mitten im Satz.
Das alles war schon so viele Jahre her, aber nie würde sie vergessen, wie Gracia ihr damals Tristans Brief zeigte. Sie hatte ihn angestarrt wie ein böses Tier. »Begreift Ihr nun?«, fragte er.
Brianda nickte. »Gracia hat uns betrogen, Euch genauso wie mich. Aber - warum hat sie das getan? Wenn sie selbst Dom Diogo liebte - nichts stand ihr im Wege, sie hätte ihn heiraten können, statt mich dazu zu drängen, es an ihrer Stelle zu tun ...« Wieder hielt sie inne, ohne den Gedanken zu Ende zu führen. »Seht Ihr?«, fragte Tristan. »Es ergibt keinen Sinn. Und eben darum bin ich sicher, dass Euer Verdacht unbegründet ist.« Brianda fühlte sich, als würde sie in ein Kaleidoskop schauen, in dem sich die bunten Glasmuster bei jeder Drehung des Rohres aufs Neue veränderten. Alles war so, wie es zu sein schien, und gleichzeitig war alles ganz anders. Aber wie auch immer die Dinge lagen: Wenn Gracia so gehandelt hatte, wie es geschehen war, dann könnte es dafür nur eine Erklärung geben ... »Wie ich sie beneide«, flüsterte Brianda. »Sie hat Francisco wirklich geliebt - so sehr, dass sie keinen anderen Mann je wieder lieben konnte.«
»Ich habe Eure Schwester dafür gehasst«, sagte Tristan. »Und ich konnte für die Firma nur weiterarbeiten, weil ich wusste, dass meine Arbeit unseren Glaubensbrüdern hilft.« Er
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