Die Gottessucherin
»Mein Gott - wer behauptet das?«
»Flüchtlinge aus Lissabon. Sie haben die Nachricht gebracht. Die Inquisition. Die Christen ... sie haben ihn hingerichtet, verbrannt ... Auf der Praca do Rossio.«
»Unmöglich! Er hat doch gelebt wie ein Christ! Jeden Sonntag ist er zur Kirche gegangen.«
»Sie haben behauptet, er hätte Marranen zur Flucht verholfen.« »Was? Unser Vater? Aber ... aber das ist doch ...« Brianda musste sich setzen. Reyna versuchte nach ihrem Arm zu greifen, aber ihre Tante kehrte ihr den Rücken zu. Mit lautem Schluchzen schlug sie die Hände vors Gesicht und weinte. Reyna wartete, bis sie sich etwas beruhigt hatte. So behutsam sie konnte, berührte sie ihre Schulter.
»Ich weiß nicht, ob Großvater uns jetzt sehen kann, aber wenn ja ...« Sie wusste nicht, wie sie es sagen sollte. »Wollt ihr euch nicht vertragen? Mutter und du? Ihm zuliebe? Er ... er würde es bestimmt wollen.«
Brianda drehte sich um, das Gesicht von Tränen verschmiert. Mit funkelnden Augen schaute sie Reyna an. »Das ist ihre Schuld. Deine Mutter hat ihn auf dem Gewissen.« »Um Himmels willen! Wie kannst du so was sagen?« »Weil es die Wahrheit ist! Wir hätten ihn nicht in Lissabon zurücklassen dürfen.«
»Aber das war doch
seine
Entscheidung. Er wollte nicht fort aus der Heimat.«
»Er war unser Vater. Als er sich entschieden hatte, zu bleiben, hätten wir auch bleiben müssen. Aber deine Mutter hat das nicht gewollt. Sie hat uns nach Antwerpen geschleppt.«
»Du redest, als hätte sie das aus böser Absicht getan. Aber sie wollte uns doch nur in Sicherheit bringen!«
»Das ist egal.« Brianda schüttelte den Kopf. »Außerdem hätte sie damit rechnen müssen.«
»Womit?«
»Dass die Dominikaner sich an ihm rächen. Das konnte ja gar nicht gut gehen.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Was gibt es da nicht zu verstehen? Sie haben ihn umgebracht, weil deine Mutter immer wieder Flüchtlinge aus dem Land gebracht hat. Tausende von Menschen, mit den Schiffen der Firma Mendes.«
»Aber damit hatte Großvater doch nichts zu tun!« »Natürlich nicht. Aber er war für sie der Sündenbock.« Brianda wischte sich die Tränen ab und dachte nach. Dann nickte sie. »Ja, so muss es sein. Weil sie Gracia nicht kriegen konnten, haben sie unseren Vater ermordet.«
»Bitte, Tante Brianda«, sagte Reyna. »Woher willst du das wissen? Das sind doch alles nur Vermutungen!« »Von wegen!«
»Und selbst wenn es so wäre - kannst du ihr das doch unmöglich zum Vorwurf machen. Sie konnte doch nicht ahnen, dass alles so kommen würde.«
»Und ob sie das konnte! An fünf Fingern hätte sie sich das abzählen können. Aber darauf hat sie keine Rücksicht genommen. Weil sie nie Rücksicht nimmt auf andere. Das hat sie noch nie getan. Und darum musste unser Vater sterben.« Die Anschuldigungen waren so ungeheuerlich, dass Reyna nicht wusste, was sie erwidern sollte.
Warum nur hatte sie ihre Mutter um Erlaubnis gebeten, an ihrer Stelle mit Brianda zu reden? Sie fühlte sich klein und hilflos wie ein Kind.
»Es ist immer dasselbe«, flüsterte Brianda. »Erst Großvater, jetzt ich ...«
Reyna begriff nicht sofort, was sie damit sagen wollte. Doch als sie es begriff, spürte sie nur noch Empörung. »Willst du ihr jetzt auch noch die Schuld an eurem Streit in die Schuhe schieben ? Du warst doch diejenige, die sie angezeigt hat!« »Weil mir nichts anderes übrigblieb! Weil deine Mutter mir alles gestohlen hat!«
»Wenn du das behauptest, tust du ihr Unrecht! Das weißt du ganz genau! Sie hat doch nicht das Testament verfasst! Das war dein Mann!« »Dass ich nicht lache!«
»Wie kannst du nur so gemein sein? Meine Mutter will das Geld ja gar nicht für sich! Sie braucht es doch nur, um anderen zu helfen! Damit es ihnen nicht auch so geht wie Großvater.« Sie schwieg einen Moment. Dann fügte sie hinzu. »Wenn du einen Funken Anstand hast, ziehst du deine Klage zurück.« »Was soll ich?«, schnaubte Brianda. »Die Klage zurückziehen? Wie stellst du dir das vor? Das ... das geht nicht so einfach.« Obwohl ihre Augen vor Erregung funkelten, war ihre Stimme immer leiser geworden, fast so, als hätte sie ein schlechtes Gewissen. »Warum nicht?«, fragte Reyna. »Ich bin sicher, dass es eine Möglichkeit gibt. Du musst es nur versuchen. Oder hast du irgendetwas getan, was du nicht mehr rückgängig machen kannst?« Brianda wich ihrem Blick aus. »Ich ... ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Dom Tristan hat mir dazu
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