Die Gottessucherin
Weil Ihr weiter am jüdischen Glauben festhaltet. Deshalb wollte man Euch verhaften.« Gracia konnte es nicht fassen. »Hat sie keine Angst um ihre Seele? Sie versündigt sich vor Gott!«
»Sie hat zum Beweis die koscheren Speisen angeführt, die Reyna für Euch aus dem Ghetto besorgt hat. Aber das Gericht hat die Klage zurückgewiesen. Die Richter waren nicht bereit, wegen solcher Nichtigkeiten eine unbescholtene Bürgerin zu verurteilen.« »Na also!« Gracia lachte bitter auf. »Der Doge wäre auch verrückt, wenn er die Chefin der Firma Mendes wegen ein paar Pfund Matze einsperren würde. Nein, die Geschäfte sind ihnen wichtiger als ihr kümmerlicher Glaube.«
»Das hatte ich auch gehofft«, sagte José. »Aber dann wurde die Sitzung unterbrochen, weil Dona Brianda und Tristan da Costa sich beraten wollten. Sie haben auf dem Flur mit einem Dominikaner gesprochen. Als sie in den Saal zurückkamen, haben sie ihre Klage erneuert.« »Mit welchem Argument?«
»Von da an hat Tristan da Costa das Wort geführt. Er wirft Euch vor, dass Ihr Vorbereitungen trefft, nach Konstantinopel auszuwandern, mit Eurem ganzen Vermögen. Und dass Ihr Eure Schwester und Euer Mündel zwingen wollt, mit Euch ins Land der Ungläubigen zu ziehen.« Gracia trat vor Wut gegen einen Schemel. »Diese gottverdammte Bande!«
Sie hatte so heftig zugetreten, dass der Schemel im Kamin gelandet war. Doch sie achtete gar nicht darauf. Keine Lüge hätte sie schlimmer treffen können als dieser Vorwurf. Weil er die reine Wahrheit war.
José ging zum Kamin und nahm den Schemel aus den Flammen, bevor er Feuer fing.
»Was hat der Rat beschlossen?«, fragte Gracia, als sie sich wieder ein wenig beruhigt hatte.
»Sie haben die Klage angenommen. Und Euren Fall an die Inquisition verwiesen.«
»Warum an die Inquisition? Das ist ein Fall für das Ausländergericht !«
»Wahrscheinlich haben die Pfaffen den Dogen bestochen«, erwiderte José. »Wenn man Euch verurteilt, wird Euer Vermögen von der Kirche konfisziert. Dona Brianda allerdings könnte verlangen, dass ihr das Erbe zugesprochen wird. Schließlich gilt sie als Christin. Vor allem aber will sie mit ihrer Klage die Vormundschaft über ihre Tochter erzwingen.« Er nahm noch einen Schluck Branntwein. »Was werdet Ihr jetzt tun?«
Gracia starrte auf die Speisen, die auf dem Tisch kalt geworden waren: eine Lammkeule und grüne Bohnen. Der Wirt hatte gleich nach ihrer Ankunft das Essen auf ihre Kammer gebracht. Doch sie hatte noch keinen Bissen zu sich genommen. »Ich muss zurück in die Stadt.«
»Das geht nicht. Man wird Euch auf der Stelle einsperren. Euch droht der Scheiterhaufen!«
»Unsinn! Sie werden mir höchstens den Reisepass abnehmen und mich zu irgendeiner Geldstrafe verurteilen. So haben sie es bis jetzt bei allen gemacht.«
»Aber nicht bei Euch. Ihr seid zu reich! Von Eurem Vermögen kann man Kirchen und Paläste bauen. Einer solchen Versuchung wird der Rat nicht widerstehen!«
»Und was ist mit Reyna? Solange sie nicht da ist, habe ich keine Ruhe.«
»Um Reyna müssen wir uns keine Sorgen machen. Nirgendwo ist sie so sicher wie bei Eurer Schwester. Schließlich hat Dona Brianda Euch angeklagt.«
»Ja, du hast recht. Bei Brianda ist sie sicher.« Gracia nahm ein Messer und spießte ein Stück von dem Braten auf. Das Fleisch schmeckte widerlich nach altem Hammel, und das Fett war ranzig. »Weißt du, wer den Prozess führen wird?« »Der Großinquisitor von Venedig«, sagte José. »Cornelius Scheppering.«
»Um Himmels willen!« Sie spuckte den Brocken Fleisch aus und trank einen Schluck Wasser.
»Er war der Mönch, der Dona Brianda und Tristan da Costa beraten hat«, fügte José hinzu.
»Immer wieder dieser Teufel...« Gracia brauchte einen Moment, um die Nachricht zu verdauen. »Wird er als Kläger oder als Richter in dem Prozess auftreten?«, fragte sie dann. »Beides«, sagte José. »Beim Inquisitionsverfahren sind Kläger und Richter ein und dieselbe Person.« »Dann gnade mir Gott!«
Gracias Hand zitterte plötzlich so sehr, dass sie den Becher abstellen musste. Niemals würde sie einen Prozess gewinnen, bei dem Cornelius Scheppering über sie zu Gericht sitzt. »Ich habe ihn zuerst gar nicht wiedererkannt«, sagte José. »Er hatte das ganze Gesicht voller Pusteln. Als hätte er die Blattern oder die Pest gehabt.«
Gracia hörte kaum hin. »Was kann ich tun?«, fragte sie. »Hast du eine Idee?«
José zögerte, bevor er eine Antwort gab. »Ihr könntet auf das
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