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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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zu. »Aber schnell!«
    »Ihr wollt das Haus verlassen?«, fragte der Diener verwundert. »Am Sabbat?«
    »Frag nicht! Beeil dich lieber!«
    Während der Diener verschwand, trat der Greis, statt sich zu verabschieden, in die Mitte der Halle. »Seid Ihr Gracia Mendes?«, fragte er.
    »Ja, ja. Aber ich habe Euch doch gesagt, dass ich keine Zeit ...« »Die Tochter von Alvaro Nasi?«
    Gracia stutzte. »Ihr kennt meinen Vater?« Plötzlich war sie ganz aufgeregt. »Habt Ihr Nachricht von ihm?«
    »Ich bin heute mit meinen Glaubensbrüdern in Venedig angekommen,  aus Lissabon.« Der Greis zögerte einen Moment. Dann sagte er: »Ja, ich habe Nachricht von Alvaro Nasi.« »Das ist ja wunderbar!«, rief Gracia und eilte die Treppe hinunter. »Wann habt Ihr ihn gesehen? Wo? Wie geht es ihm?« Sie wollte dem Mann die Hände drücken. Doch der behielt die Arme auf dem Rücken, als habe er Angst, sie zu berühren, und wich einen Schritt zurück.
    »Es tut mir sehr leid«, sagte er. »Aber Euer Vater ist tot. Die Inquisition ... Sie ... sie haben Alvaro Nasi auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«
     

18
     
    Von San Marcuola läuteten die Glocken zum Ave-Gebet, während Brianda sich von Tristan da Costa nach Hause begleiten ließ. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung vom Tod ihres Vaters. Ihr hatte niemand Nachricht aus Lissabon gebracht. Sie hatte ganz andere Sorgen.
    »Ihr müsst zurück ins Ghetto!«, sagte sie.
    »Nein«, erwiderte Tristan da Costa. »Erst bringe ich Euch nach Hause.«
    »Aber wenn man Euch jetzt mit dem Judenhut erwischt, wirft man Euch ins Gefängnis.«
    »Gefährlich wird es erst, wenn das Läuten vorbei ist. Und das dauert noch eine Weile.«
    Vorsichtig sah Brianda um die Ecke, bevor sie in die Gasse einbog, die zu ihrem Palazzo führte. Die Häscher der Dominikaner waren überall. Oder war sie so nervös, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte? Sie kam gerade mit Tristan vom Dogenpalast. Neben dem Eingang des Sitzungssaals war ein steinerner Löwe in die Wand eingelassen, durch dessen Rachen man im Schutz der Anonymität Briefe einwerfen konnte, um Anzeige beim Zehnerrat zu erstatten.
    »Wenn meine Schwester erfährt, was ich gemacht habe, wird sie rasen vor Wut.«
    »Es ist die einzige Möglichkeit, dass Ihr zu Eurem Recht kommt. Dom Diogo hat mit seinem Testament gegen das Gesetz verstoßen. Der Talmud will, dass die Witwe den Besitz ihres Mannes erbt. Wir benutzen nur das Gericht der Edomiter, um für jüdisches Recht zu sorgen.«
    »Aber Ihr habt doch gesagt, ich kann auch von meiner Mitgift leben.«
    »Und die Vormundschaft über Eure Tochter?«
    »Ich hab nur Angst, dass man Gracia womöglich einsperrt.«
    »Keine Sorge. Sie werden ihr nur den Reisepass abnehmen und sie zu einer Geldstrafe verurteilen. Vor allem aber wird man Euch zu Eurem Recht verhelfen. Damit Ihr selbst entscheiden könnt, wo Ihr mit Eurer Tochter leben wollt.«
    Sie passierten gerade einen kleinen, unscheinbaren Palazzo, als Tristan stehen blieb.
    »Hier bin ich früher Hunderte Male vorbeigekommen, ohne den da zu sehen.«
    Er zeigte auf einen buntbemalten Atlas, der einen mehrstöckigen Erker auf seinen Schultern zu tragen schien. »Ja, und?«, fragte Brianda, die nicht begriff, was er meinte. Tristan drehte sich um. Gleichzeitig zärtlich und verlegen schaute er sie an.
    »So viele Jahre war ich blind wie ein Maulwurf. Aber du hast mir die Augen geöffnet. Damit ich endlich all die schönen Dinge sehe, die es in dieser Stadt gibt. Nicht nur an den Häusern, sondern überhaupt ...«
    Jedes Mal, wenn er »du« zu ihr sagte, hatte Brianda das Gefühl, er würde sie streicheln. Aber noch schöner als das Du war der Inhalt seiner Worte. Diogo hatte Dutzende Bilder von ihr malen lassen, weil er eine Frau in ihr suchte, die sie nicht war. Doch nie hatte Diogo sie so gut verstanden wie Tristan. Am liebsten hätte sie ihn dafür geküsst, jetzt gleich, mitten auf der Straße.
    Plötzlich merkte sie, wie unheimlich still es rings um sie war.
    »Was ist?«, fragte er. »Was machst du für ein Gesicht?«
    »Das Läuten«, sagte sie so leise, als würde jemand sie belauschen.
    »Es hat aufgehört. Was willst du jetzt tun?«
    »Ach so.« Mit einem Grinsen nahm er den gelben Hut vom Kopf und zog ein schwarzes Barett aus der Tasche. »Und schon bin ich ein braver Christ!«
    Er hatte noch nicht ausgesprochen, da sah Brianda zwei Dominikaner. Sie kamen direkt auf sie zu. »Deine Schläfenlocken!«
    Eilig bedeckte Tristan sein Haar mit dem Barett.

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