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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Doch die Dominikaner hatten schon Verdacht geschöpft und beschleunigten ihre Schritte.
    Brianda griff nach seiner Hand. »Los! Komm mit!« »Wohin?«
    »Zu mir! Damit du in Sicherheit bist für die Nacht!«
     

19
     
    Kühle Abenddämmerung senkte sich über die Hafenspeicher der Firma Mendes, die den Canale della Giudecca säumten. Doch innen, unter dem Dach, staute sich noch die Hitze eines langen Sommertages in der staubigen Luft, als Gracia an ihrem Stehpult die Frachtpapiere der Fortuna abzeichnete, die vor dem Lagerhaus vertäut am Kai lag, um am Abend mit der Flut in Richtung Konstantinopel auszulaufen. Eigentlich hatte der Zehnerrat Gracia für diesen Tag in den Dogenpalast bestellt - einer der zahllosen Gerichtstermine, bei denen irgendwelche Dokumente, Hauptbücher und Inventarlisten verglichen wurden, ohne dass die Richter im Prozess um Diogos Erbe zu einem Ergebnis kamen. Gracia hatte deshalb José an ihrer Stelle zur Verhandlung geschickt. Statt ihre Zeit vor Gericht zu vertrödeln, wollte sie lieber dafür sorgen, dass ihre Schützlinge sicher an Bord gelangten. Außerdem wollte sie sich einen Eindruck von ihrem neuen Agenten Duarte Gomes verschaffen, einem Marranen aus Lissabon, der schon seit fünf Jahren in Venedig lebte und den Rabbi Soncino ihr empfohlen hatte. Er sollte Tristan da Costa ersetzen, der seinen Glauben verraten und sie im Stich gelassen hatte, um sich auf Briandas Seite zu schlagen.
    Gracia wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Warum hatte ihr Vater sterben müssen? Zeit seines Lebens hatte er keiner Fliege etwas zuleide getan. Aus Angst und Sorge um seine Familie war er immer vorsichtig gewesen, hatte sich immer angepasst, um ja nicht anzuecken und den Edomitern Anlass für irgendeinen Verdacht zu geben. Trotzdem hatte Gott es zugelassen, dass diese Barbaren ihn verbrannten - einen alten, wehrlosen Mann. Warum? Gracia bereute, dass sie ihren Vater in Lissabon zurückgelassen hatte. Sie hätte ihn mitnehmen müssen auf die Flucht, trotz seines Alters. Dieser Fehler ließ sich nie mehr beheben. Sie konnte nur versuchen, an anderen Menschen gutzumachen, was sie bei ihm versäumt hatte. Damit sein Tod nicht vollkommen sinnlos wäre. »Entschuldigt, Herrin.«
    Gracia blickte von den Papieren auf und sah in Duartes pockennarbiges Gesicht. »Ist es schon so weit?«, fragte sie. »Ja, Herrin.« Obwohl ihr neuer Agent so groß war wie ein Baum und ein halbes Dutzend Sprachen beherrschte, drehte er noch immer schüchtern wie ein Bauer seinen Hut in der Hand, wenn er mit ihr redete. »Die Leute möchten sich von Euch verabschieden.«
    Gracia legte ihren Gänsekiel aufs Pult und folgte Duarte zur Dachluke. Durch die Öffnung sah sie, wie draußen die Matrosen in die Wanten der Fortuna kletterten, um die Segel klarzumachen. Die Verladung der Papierballen und Käselaibe war abgeschlossen, jetzt sollten die Flüchtlinge an Bord gebracht werden. Es war nur das kleine Häuflein Juden aus Toledo, das unter Führung des Gemeindeältesten Joshua Montales nach Venedig gelangt war. Trotz der Gefahr, entdeckt zu werden, hatte Gracia sie in ihrem Haus versteckt, im Gedenken an ihren Vater, den dieselben Verbrecher ermordet hatten, vor denen diese Menschen nun Schutz suchten. Gracia verabschiedete jeden Einzelnen von ihnen mit einer Umarmung.
    »Wir verdanken Euch unser Leben, Dona Gracia.« Joshua Montales kniete vor ihr nieder und küsste ihr die Hand. »Gott möge Euch immer dafür segnen.«
    »Ihr braucht mir nicht zu danken«, erwiderte sie. »Ihr habt mir mehr geholfen, als ich Euch helfen konnte.« Das war nicht übertrieben. Schwankend war sie geworden, wie eine grüne Taube, unsicher, ob sie den Geboten ihres Glaubens oder der Neigung ihres Herzens folgen sollte. Doch in Gestalt dieses Greises hatte Gott ihr einen Boten geschickt. Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt ... Statt Brianda nachzugeben und den Weg zu verlassen, den der Herr ihr gewiesen, hatte sie sich besonnen und an ihrer Mission festgehalten. Brianda stritt um ihr Erbe, um das Geld ihres Mannes für hübsche Kleider auszugeben. Sie, Gracia, brauchte dieses Geld, um ihre Glaubensbrüder vor einem Schicksal zu bewahren, dem ihr Vater zum Opfer gefallen war. Diesen Weg würde sie weitergehen - und wenn sie den Rest ihres Lebens um ihr Erbe kämpfen müsste! Aber vielleicht würde der unselige Streit ja bald ein Ende haben. Reyna hatte um Erlaubnis gebeten, an Gracias Stelle Brianda die Todesnachricht aus

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