Die Gottessucherin
geraten. Wir waren heute bei Gericht. Aber du musst keine Angst haben, es kann nichts Schlimmes ...« Mitten im Satz brach sie ab. »Nein, nein und noch mal nein!«, rief sie und sprang auf. »Hundertmal hab ich nachgegeben! Tausendmal! Jetzt ist es genug!« Als Reyna etwas einwenden wollte, schnitt Brianda ihr das Wort ab. »Was verlangst du von mir? Soll ich mein ganzes Leben über den Haufen werfen und nach Konstantinopel ziehen? Nur damit deine Mutter ihren Willen hat?«
»Darum geht es doch gar nicht. Ich möchte doch nur, dass ihr beide wieder ...«
»Und ob es darum geht! Genau darum und um nichts anderes! Ihr ist doch ganz egal, was mit anderen passiert. Hauptsache, sie setzt ihren Willen durch. Und wenn sie dafür über Leichen gehen muss. Dein Großvater ist der Beweis!« Reyna verschlug es die Sprache. Während ihre Tante begann, mit stampfenden Schritten im Zimmer auf und ab zu marschieren, blieben ihre Augen an den Bildern hängen, mit denen die Wände über und über behängt waren. Brianda in einem Brokatkleid ... Brianda in einer Seidenbluse ... Brianda in einem Pelzmantel ... Brianda mit einem Diadem im Haar ... Brianda in einer prachtvollen Kutsche ... Brianda umgeben von ihrem Gesinde ... Brianda vor ihrem Haus in Antwerpen ...
»Mutter hat recht«, sagte Reyna. »Du denkst immer nur an dich. Kleider und Schmuck und Häuser und eine möglichst große Dienerschaft, die dir die Arbeit abnimmt. Das ist alles, was in deinen Augen zählt.«
»Was fällt dir ein, so mit mir zu reden!«, rief Brianda. »Du scheinheiliges kleines Biest! Die Kleider, die ich dir geschenkt habe, hast du genauso gerne getragen wie ich!«
»Die kannst du alle zurückhaben! Ich will sie nicht mehr! Ich werde sie nie wieder anziehen!« Sie sprang auf und rannte zur Tür. Die Klinke schon in der Hand, drehte sie sich noch einmal herum.
»Und ich verrate dir auch, weshalb«, sagte sie und blickte ihrer Tante fest in die Augen. »Weil ich nicht so werden will wie du.« Brianda schnappte nach Luft. »Was soll das heißen?«, schrie sie. »Willst du lieber so werden wie deine Mutter? Ja? Dann will ich dir sagen, was für eine deine Mutter ist!« Sie hielt noch einmal inne, doch nur für einen Wimpernschlag. Dann platzte es aus ihr heraus. »Deine Mutter hat mir den Mann weggenommen! Sie hat mit ihm geschlafen! Sie war seine Geliebte!« Reyna starrte sie an wie ein Gespenst. Sie zitterte am ganzen Körper, der Schweiß brach ihr aus, und ihr Mund war so trocken, dass sie kaum sprechen konnte.
»Du gemeine, hinterhältige Lügnerin«, flüsterte sie. »Schämst du dich nicht?«
Und noch bevor Brianda antworten konnte, machte sie kehrt und verließ den Raum. Sie wollte nichts mehr mit ihrer Tante zu tun haben! Nie, nie mehr in ihrem Leben! Mit lautem Knall fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
21
»WAS hat Brianda getan?«, fragte Gracia.
»Sie hat Euch angezeigt«, sagte José. »Bei der Inquisition.«
»Meine Schwester zerrt mich vors Glaubensgericht? Was in aller Welt wirft sie mir vor?«
José schaute auf seine Stiefelspitzen, so schwer fiel ihm die Antwort. »Sie klagt Euch an, heimlich zu judaisieren.« Es war schon bald Mitternacht, doch an Schlaf war nicht zu denken. Gracia war nach Mestre geflohen, einem kleinen Ort auf dem Festland, und dort in einer Herberge abgestiegen, die ein Glaubensbruder an der Piazza Ferretto betrieb. Samuel Usque hatte sie hergebracht, nachdem sie den Soldaten entkommen waren, und eine Stunde später war auch José eingetroffen. Nur Reyna fehlte. José hatte sie zu Hause nicht angetroffen - ein Diener hatte ihm gesagt, sie sei zu Besuch bei ihrer Tante. Er hatte daraufhin Duarte Gomes zum Palazzo Gritti geschickt, um Reyna Bescheid zu geben, dass sie vorerst bei Brianda bleiben solle. Er selbst musste so schnell wie möglich die Stadt verlassen. Bei dem Gefecht im Hafenspeicher war ein Offizier verletzt worden und ein Soldat zu Tode gekommen. Auch José hatte eine Stichwunde am Arm, die Gracia mit einem Lappen verbunden hatte. »Judaisieren?«, fragte sie. »Was hat das zu bedeuten? Brianda ist doch selbst Jüdin. Los, mach endlich den Mund auf! Was ist vor Gericht passiert? Aber der Reihe nach!«
Zur Betäubung der Schmerzen nahm José einen Schluck aus der Branntweinflasche, die der Wirt ihm in die Kammer gebracht hatte.
»Eure Schwester hat behauptet, sie habe nur den Wunsch, als Christin in Venedig zu leben, zusammen mit ihrer Tochter, Ihr aber würdet sie daran hindern.
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