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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Ankunft waren vielwöchige Verhandlungen vorausgegangen, die Samuel Usque geführt hatte. In einer handschriftlichen Erklärung sicherte Herzog Ercole Gracia zu, dass sie in seinem Staate keine wie auch immer geartete Belästigung wegen ihres Glaubens zu gewärtigen habe. Auch wenn sie bislang als getaufte Christin gelte, stehe es ihr unter seiner Herrschaft frei, den jüdischen Ritus zu praktizieren - ja, sie sei sogar berechtigt, Sklaven für ihre persönlichen Dienste zu halten. Zugleich war es Gracias Neffen José Nasi in Venedig gelungen, gegen Hinterlegung von fünfzigtausend Dukaten bei der Zecca das Privilegium zu erwirken, den Prozess mit ihrer Schwester Brianda zur Klärung ihrer Erbstreitigkeiten von Ferrara aus führen zu dürfen. Herzog Ercole empfing Gracia Mendes also mit offenen Armen, und sein Entzücken über ihre Ankunft steigerte sich ins Grenzenlose, als sie ihn bei ihrem Antrittsbesuch mit einem Geschenk von zehntausend Dukaten überraschte, für den Bau eines Glockenturms, mit dem der Fürst die Kathedrale seiner Hauptstadt zu vollenden gedachte. Im Gegenzug überließ Ercole seiner neuen Untertanin, gegen Vorauszahlung eines Mietzinses für zwei Jahre, den Palazzo Magnanini, einen der schönsten und größten Paläste am Corso della Giovecca, und als Gracia Mendes am 10. Januar des neuen Jahres in der Hofkanzlei den Antrag stellte, von Ferrara aus die Geschäfte ihrer Firma dergestalt fortzuführen, wie ihr Schwager Diogo es in seinem Testament verfügt hatte, brauchte sie keine drei Wochen zu warten, bis der Herzog ihr mit seiner Unterschrift dieses Recht bestätigte. Gleichzeitig versicherte er ihr, dass sie in seinem Staate als der einzige und rechtmäßige Vormund ihrer Nichte La Chica gelte. Nie hätte Gracia erwartet, dass die Dinge sich so rasch und zügig in ihrem Sinn entwickelten. Vielleicht würde sie schon in Konstantinopel sein, noch ehe ihr Mietvertrag abgelaufen wäre. Während José in Venedig mit der gebotenen Vorsicht begann, immer größere Teile der Firma Mendes zur Sicherung des Vermögens außer Landes zu schaffen, stand der Aufnahme neuer Handelsgeschäfte in Ferrara nichts mehr im Wege. Die Geld- und Warenströme, die bislang über Venedig geflossen waren, leitete Gracia nun über ihren neuen Handelsplatz um. Zugleich nahm sie regen Anteil am gesellschaftlichen Leben der Residenzstadt, die, dank Ercoles Ehefrau Renata, einer Tochter Ludwigs XII. von Frankreich und Anhängerin der reformatorischen Glaubenslehre, eine Zufluchtsstätte religiös Verfolgter aus allen Ländern des Römischen Reiches war. Selbst der Schweizer Protestant Johannes Calvin hatte vor Jahren in Ferrara Unterschlupf gefunden. Um die Zuneigung der Herzogin zu gewinnen, die trotz ihres unscheinbaren Äußeren angeblich mehr Macht über Ercole besaß als alle seine Minister, beauftragte Gracia ihren Kontoristen Samuel Usque sowie mehrere Schriftgelehrte mit der Übersetzung der Bibel ins Spanische. Dieses Werk sollte in zwei Ausgaben erscheinen: in einer für die christliche Leserschaft und in einer anderen für diejenigen Juden, die des Hebräischen unkundig waren. Damit die Inquisition keinen Einwand gegen ihr Vorhaben erheben würde, bat Gracia den Herzog bereits jetzt um sein Imprimatur für die Drucklegung, das Ercole schon allein deshalb erteilte, weil die Verbreitung der Heiligen Schrift in einer gemeinen Volkssprache fraglos ein Dorn im Auge seines ärgsten Widersachers sein würde - des Heiligen Vaters in Rom. Doch dann, das erste Jahr in ihrer neuen Heimat war noch nicht vergangen, ereilte Gracia eine Nachricht aus Venedig, die einen fürchterlichen Rückschlag für ihre Bemühungen bedeutete. Der Zehnerrat hatte ein Urteil gesprochen. Darin setzten die Richter Brianda als Vormund von La Chica ein. Mit dieser Verfügung, so die beigefügte Erklärung des Gerichts, wurde sowohl die natürliche Abkunft der Tochter von ihrer Mutter berücksichtigt als auch die Tatsache, dass Gracia Mendes sich der Gerichtsbarkeit der Serenissima entzogen hatte, um in der Fremde ihrem alten Glauben zu frönen, während ihre Schwester in Venedig geblieben war und dort den Ruf einer untadeligen Christin genoss. Zugleich wurde Gracia dazu verurteilt, das Erbe ihres bisherigen Mündels, also die Hälfte des gesamten Firmenvermögens, bei der Zecca zu hinterlegen, bis La Chica verheiratet wäre oder die Volljährigkeit erlangte.
    Dieser Spruch kam einer Katastrophe gleich. Während José nichts anderes übrigblieb,

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