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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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ich dir! Bei allem, was mir heilig ist!«
     

25
     
    Wo in aller Welt war Sultan Süleyman, der Herrscher des Osmanischen Reiches?
    Als José in Venedig den Brief mit dem Auftrag erhielt, Gracia und Reyna Mendes unter den Schutz des türkischen Kaisers zu stellen, wusste er nur, dass Süleyman sich nicht in Konstantinopel aufhielt. Der Sultan hatte einen Waffenstillstand mit dem Habsburger-Reich geschlossen, in dem er sich gegen Zahlung eines jährlichen Tributs verpflichtete, die Stadt Wien nicht wieder anzugreifen. Doch kaum war der Vertrag unterschrieben, hatte er das Geld seiner Gegner genutzt, um einen Krieg in Persien zu führen, mit dem es ihm gelungen war, weitere Gebiete für sein riesiges Reich zu erobern. Angeblich befand sich Süleyman inzwischen auf dem Rückmarsch, aber in Venedig kursierten Gerüchte, dass er nach dem geglückten Feldzug im Osten nun im Westen den Krieg in Ungarn erneuern wolle und mit seinem Heer bereits in Richtung Balkan weiterziehe, ohne in Konstantinopel Station zu machen.
    Nachdem José die Geschäfte der Firma an Duarte Gomes übergeben hatte, schiffte er sich darum nur bis Ragusa ein, die alte Hafen- und Handelsstadt auf der anderen Seite des Adriatischen Meeres, um von dort aus auf dem Landweg weiterzureisen, die Via Egnatia entlang, jene Straße, auf der seit römischen Zeiten Pilger und Kaufleute in den Orient aufgebrochen waren. So hoffte er, unterwegs zuverlässige Nachricht über Süleymans Aufenthalt in Erfahrung zu bringen.
    Ragusa, der Vorposten des Osmanischen Reiches an der dalmatischen Küste, kam José vor wie ein verkleinertes Abbild von Venedig - nur dass die Zahl der Moscheen die der Kirchen bei weitem übertraf. Doch er hatte keine Zeit, die Merkwürdigkeiten der Stadt zu bestaunen. Gleich nach seiner Ankunft schloss er sich einer Handelskarawane an, die unter der Bewachung einhundertfünfzig bewaffneter Reiter über den Balkan nach Saloniki zog. Während die Fuhrwerke sich über abwechselnd staubige oder morastige Straßen voranquälten, in denen ein Schlagloch auf das andere folgte, vorbei an schwindelerregenden Abgründen oder durch finstere Wälder hindurch, in denen man kaum die Hand vor Augen sah, bereute José mit jeder Meile mehr seine Entscheidung, auf die Bequemlichkeit der Schiffsreise verzichtet zu haben. Dreimal täglich hätte er eine warme Mahlzeit bekommen und wäre nachts in einer geräumigen Kajüte sanft und wohlig in den Schlaf geschaukelt worden. Mit Reynas Bild vor den Augen.
    Über ein Monat verging, bis die Karawane endlich Saloniki erreichte, eine Stadt, in der nahezu alle Einwohner jüdischer Herkunft zu sein schienen. Auf den Straßen und Gassen wimmelte es von Juden: aus Deutschland und Italien, Frankreich und Ungarn, Kalabrien und Sizilien, Spanien und Portugal. Im Bethaus der Portugiesen wurde José für die Strapazen der Landreise belohnt. Ja, Sultan Süleyman hatte tatsächlich einen Bogen um seine Hauptstadt geschlagen, aus Sorge, dass seine Soldaten sich zwischen den Feldzügen zu ihren Angehörigen absetzten, marschierte er mit seinem Heer nun auf Edirne zu. Als José eine Woche später von einem Hügel aus das Feldlager entdeckte, traute er seinen Augen nicht. Tausende von Zelten füllten das Tal auf einer Fläche, die größer war als eine ganze Stadt. In der Mitte, umgeben von konzentrischen Kreisen, erhob sich ein Zelt aus goldener Leinwand mit mehreren spitzen Türmen, über deren höchsten die grüne Flagge mit dem Halbmond wehte. Das musste das Zelt des Sultans sein! José trieb sein Pferd an. Doch kaum hatte er den Fuß des Hügels erreicht, versperrten zwei Soldaten ihm den Zugang zu der Zeltstadt. An den hohen Hüten und den bodenlangen Mänteln erkannte er, dass es sich um Janitscharen handelte, Leibwächter des Herrschers. Mit gezogenen Krummsäbeln forderten sie ihn auf, abzusteigen.
    »Ich habe eine Botschaft für Sultan Süleyman«, erklärte José und hob die Arme, um seine friedliche Absicht zu bekunden. »Das behaupten alle Spione. Los, vorwärts!« Als José sah, wohin man ihn brachte, stockte ihm der Atem. Die Janitscharen führten ihn auf einen Zeltplatz, in dessen Mitte drei aufgespießte Menschenschädel auf hohen Pfählen in den Himmel ragten.
    Wie angewurzelt starrte er auf die leblosen Köpfe, die halbverwest im Wind zu schwanken schienen, die leeren Augenhöhlen, die fleischlosen Lippen, die ihre Zähne zu einem schaurigen Grinsen entblößten.
    »Weiter!« Eine Faust traf José im Rücken, so

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