Die Gottessucherin
als dem Willen des Gerichts Genüge zu tun,
indem er versuchte, die geforderten Gelder einzutreiben, verbreitete Brianda mit Tristan da Costas Hilfe an allen Börsen und Handelsplätzen Europas die Nachricht, dass ihre Schwester nicht mehr Herrin der Firma Mendes sei.
Sollte alles vergeblich gewesen sein? Die Flucht aus Venedig? Der Streit um ihr Erbe? Der ganze Einsatz für ihre Mission? Noch nie hatte Gracia eine so bittere Niederlage erfahren, und dass ausgerechnet ihre dumme, ahnungslose kleine Schwester sie ihr zugefügt hatte, steigerte nur ihre ohnmächtige Wut. Sie hatte sich fast schon im Morgenland gewähnt, und jetzt sah sie sich plötzlich hilf- und schutzlos in Ferrara gefangen: Falls sie Italien verließe, bevor das Urteil eine Revision erführe, würde sie den größten Teil ihres Besitzes für immer verlieren. Alle Anstrengungen, alle Mühen der letzten Jahre, das Werk der zwei Männer fortzusetzen, die sie in ihrem Leben geliebt hatte, wären ohne Wirkung geblieben. Denn kein Gericht im Heiligen Römischen Reich oder im Vatikanstaat des Papstes würde sich je dem Beschluss des Zehnerrats von Venedig widersetzen, wenn dieser sich mit der Inquisition einig war.
Und während Gracia Mendes in langen, schlaflosen Nächten die leeren Flure ihres Palastes durchmaß, mündeten alle ihre Überlegungen und Grübeleien immer wieder in eine Frage: Welche Macht auf Erden könnte ihr Schutz bieten, wenn die heilige katholische Kirche und die Staatsgewalt sich gegen sie verschworen hatten?
24
Es gab nur noch eine Instanz, an die Gracia sich wenden konnte. »Ich werde den Sultan um Hilfe bitten«, erklärte sie ihrer Tochter. »Süleyman ist der mächtigste Herrscher der Welt.« »Noch mächtiger als Kaiser Karl?«, fragte Reyna.
»Ja«, sagte Gracia. »Wenn Süleyman uns offiziell zu seinen Untertaninnen erklärt, genießen wir seinen persönlichen Schutz. Niemand wird dann wagen, Dom Diogos Testament anzufechten und Hand an unseren Besitz zu legen.«
»Aber warum sollte der Sultan sich um uns kümmern ? Noch dazu in Italien? Es kann ihm doch egal sein, was mit uns passiert.« »Nein, Reyna, dazu sind wir zu reich. Die Aussicht, dass sich die Firma Mendes in seiner Hauptstadt ansiedelt, ist eine Verlockung, der er nicht wird widerstehen können. Ich werde José schreiben. Er soll nach Konstantinopel reisen, um die Verhandlungen zu führen.«
»Jose?« Reyna war entsetzt. »Bitte nicht, Mutter. Wir haben uns schon über ein Jahr nicht mehr gesehen.« »José war schon dreimal hier in Ferrara zu Besuch.« »Und die restlichen Tage verbringe ich damit, mich nach ihm zu sehnen. Bitte, Mutter, schick einen anderen, Samuel Usque oder Duarte Gomes. Du hast doch selbst gesagt, dass du ihm vertraust.«
»Glaub mir, wenn ich könnte, würde ich jemand anderen schicken. Aber es steht zu viel auf dem Spiel. Süleyman weiß, dass wir auf seine Hilfe angewiesen sind, und er wird versuchen, uns zu erpressen. José ist der Einzige, der eine so schwierige Aufgabe lösen kann. Er hat schon den Kaiser umgestimmt.« »Aber wenn José nach Konstantinopel fährt, ist er eine Ewigkeit weg. Wie soll ich das aushalten?«
»Willst du wirklich riskieren, dass wir alles verlieren, bloß weil du zu ungeduldig bist? Du weißt, dass von unserem Geld das Schicksal Hunderter Menschen abhängt! Kannst du das verantworten?«
Reyna schüttelte stumm den Kopf. »Siehst du?«, sagte Gracia.
Tapfer sah Reyna sie an. »Ich ... ich weiß ja, dass du recht hast.« Sie kämpfte mit den Tränen. »Und ich will auch nicht, dass wir alles verlieren. Aber ...«
»Aber was?«
»Ich habe gehört«, sagte Reyna so leise, dass Gracia sie kaum verstand, »die Orientalinnen sind so wunderschön, dass kein Mann ihnen widerstehen kann.«
»Darum machst du dir Sorgen?« Gracia lachte erleichtert auf. »Was für dumme Gedanken! Hast du denn gar kein Vertrauen in deinen Verlobten?«
»Doch«, flüsterte Reyna verlegen und schlug die Augen nieder. »Es ... es ist nur, weil ich ihn so liebe. So sehr, dass ich es gar nicht sagen kann.«
Gerührt griff Gracia nach ihrer Hand. »Weißt du was?«, sagte sie. »Wenn José wieder zurück ist, dann sollt ihr endlich heiraten. Dann habt ihr lange genug gewartet.«
»Du meinst -
wirklich
heiraten, nicht nur zum Schein?« Reyna strahlte über das ganze Gesicht. »Nach unserem Brauch? Unter der Chuppa?«
»Ja«, sagte Gracia und drückte ihre Hand. »Genau so, wie du es dir gewünscht hast. Das verspreche
Weitere Kostenlose Bücher