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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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heftig, dass er ins Stolpern geriet. Er verfluchte seinen Leichtsinn. Wie hatte er nur so dumm sein können, einfach in das Feldlager des Sultans zu reiten, ohne einen Boten vorauszuschicken?
    Er schloss die Augen und dachte an Reyna. Würde er sie jemals wiedersehen?
    »Dur!«
    José wusste nicht, was das Wort bedeutete, doch es war mit solcher Schärfe gesprochen, dass seine Begleiter auf der Stelle verharrten.
    »Dom Jose?«, fragte gleich darauf dieselbe Stimme. »Dom José Nasi?«
    Noch nie hatte er sich so sehr gefreut, seinen Namen zu hören, und ohne sich um die Janitscharen zu kümmern, drehte er sich um. »Dem Himmel sei Dank ...«
    Aus einer Zeltgasse trat ein Mann, den José seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, den er jedoch auf den ersten Blick wiedererkannte. An seiner Schläfe blühte ein riesiges Feuermal. Freudig kam er auf José zu, beide Arme erhoben, um ihn mit einem Bruderkuss zu begrüßen, wie es unter Juden üblich war.
     

26
     
    »Wisst Ihr, was die Morgenländer am meisten von uns Europäern unterscheidet?«, fragte Amatus Lusitanus. Da José die Antwort nicht wusste, wartete er, bis der Arzt sie selbst gab.
    »Die Zeit«, erklärte Amatus.
    José runzelte die Stirn. »Wie das? Die Zeit ist doch für alle gleich. Seht selbst!« Er zog seine neue Dosenuhr aus dem Hosensack und ließ den Deckel aufspringen.
    »Aus der Werkstatt von Meister Henlein?«, fragte Amatus mit einem anerkennenden Blick auf das tickende Wunderwerk. »Ja«, bestätigte José. »Ein Handelsagent aus Nürnberg hat sie mir verkauft. Und wie Ihr seht, rücken die Zeiger vollkommen gleichmäßig vor, ganz egal, ob Ihr oder ich oder ein Muselmane in Mekka sie in der Hand hält. Weil die Stunden und Minuten eben für alle Menschen in derselben Weise verstreichen.« »Nur dem äußeren Schein nach«, erwiderte Amatus. »Wir Europäer haben vielleicht die Uhr erfunden und damit die Möglichkeit, die Zeit abzulesen. Aber die Morgenländer besitzen etwas viel Wertvolleres - nämlich die Zeit selbst. Sie kennen keine Eile.« »Was nützen mir solche philosophischen Weisheiten?« »Nun, damit hat Süleyman die halbe Welt erobert. Seine Kriegskunst besteht vor allem darin, immer den richtigen Moment abzupassen.«
    »Aber die Zeit drängt!«, rief José. »Ich kann nicht ewig in diesem Zelt herumsitzen und hoffen, dass Seine Hoheit irgendwann die Güte hat, mich zu empfangen. Dona Gracia wartet dringend auf Nachricht. Wenn Süleyman sie nicht unter seinen Schutz nimmt, verliert sie alles, was sie besitzt.«
    »Der Sultan ist sehr beschäftigt. Während er Krieg führt, verhandeln seine Botschafter gleichzeitig mit dem Kaiser und dem Papst. Das erfordert seine ganze Aufmerksamkeit. Und was mit den Ungeduldigen hier geschieht, habt Ihr ja gesehen.« »Ihr meint - die aufgespießten Schädel?«
    Ein Mohr mit einem Turban auf dem Kopf trat in das Zelt, wo José und Amatus mit untergeschlagenen Beinen auf weichen Bodenkissen saßen, und stellte ein Tablett zwischen ihnen ab. Amatus beugte sich vor und nahm eine Tasse, in der eine Brühe dampfte, die so schwarz war wie das Gesicht des Mohren, und rührte darin mit einem Löffel.
    »Wollt Ihr das etwa trinken?«, fragte José entsetzt. »Das sieht ja aus wie Gift!«
    »Kaffee«, erwiderte Amatus. »Ein wunderbares Getränk. Es schmeckt köstlich, vor allem mit Zucker vermischt, und belebt sowohl den Leib als auch die Seele. Als Arzt kann ich es nur empfehlen. Aber probiert selbst.«
    Mit spitzen Lippen nahm José einen winzigen Schluck. »Das schmeckt ja abscheulich!« Nur mit Mühe gelang es ihm, die bittere Brühe bei sich zu halten.
    »Ihr müsst erst den Zucker verrühren«, lachte Amatus. »Nur Geduld, Ihr werdet Euch schon noch daran gewöhnen.« »Auf gar keinen Fall!« Um den scheußlichen Geschmack im Mund loszuwerden, nahm José einen Bissen von dem Kuchen, den der Diener ihm reichte und der so süß war wie der Kaffee bitter. »Was meint Ihr, Dr. Lusitanus - könntet Ihr dem Sultan nicht erklären, wie sehr die Sache eilt ? Ihr seht ihn doch j eden Tag.« Amatus schüttelte den Kopf. »Nein, ich sehe ihn nur, wenn er krank ist. Und Süleyman erfreut sich hervorragender Gesundheit.«
    »Soll das heißen, mir bleibt nichts anderes übrig, als die Hände in den Schoß zu legen?«
    »Kismet«, erwiderte Amatus mit einem Schulterzucken. »Damit meinen die Menschen hier, dass alles sowieso nur dann geschieht, wenn Allah es will.« Mit seiner Tasse forderte er den Mohren auf,

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