Die Gottessucherin
nachzuschenken. »Aber einen Rat kann ich Euch trotzdem geben. Freundet Euch mit Prinz Selim an, Süleymans Lieblingssohn. Wenn Ihr den gewinnt, steht Euch das Herz des Sultans offen. Und vor allem das Herz von Roxelane.« »Wer zum Teufel ist das?«
»Pssst«, machte Amatus und schaute sich ängstlich um. »Roxelane ist die Hauptfrau des Sultans, die einzige Frau, die er wirklich liebt, obwohl er in seinem Harem die Wahl zwischen fünfhundert Konkubinen hat. Sie genießt sein volles Vertrauen. Wenn Süleyman Krieg führt, übernimmt sie an seiner Stelle sogar die Regierungsgeschäfte.«
»Eine Frau, die den Sultan vertritt?«, fragte José. »Ich dachte, die Muselmanen ...«
»Ihr dürft nicht alles glauben, was Ihr hört oder seht«, unterbrach ihn Amatus. »Im Orient sind die Dinge nur selten so, wie sie scheinen. Sicher, Roxelane ist bloß eine Frau, aber sie hat auf den Sultan mehr Einfluss als der Großwesir. Ihr zuliebe hat Süleyman seine frühere Favoritin in die Verbannung geschickt und ihren Sohn erdrosseln lassen. Damit Selim, Roxelanes Sohn, ihm eines Tages auf den Thron folgen kann.«
»Ich verstehe.« Obwohl es stickig heiß in dem Zelt war, überlief José ein Schauder. »Aber was kann ich tun, um Selim für mich zu gewinnen?«
»Sehr einfach«, antwortete Amatus und nahm noch einen Schluck von seinem Kaffee. »Der Prinz hat zwei Schwächen: Frauen und Wein. Wer ihn damit versorgt, ist sein Freund.«
27
Das Castello Estense, Sitz des Herzogs von Ferrara, war von einem breiten Wassergraben umgeben, in dem bemooste Krokodile reglos wachen Auges auf ein Menschenopfer lauerten. Nicht weniger als drei Vorschanzen schützten die Eingänge mit hölzernen Zugbrücken, die auf Befehl eines Wachoffiziers eigens heruntergelassen wurden, als Gracia in Begleitung von Samuel Usque an einem Sommermorgen des Jahres 1551 mit ihrer Kutsche vorfuhr und Einlass begehrte. Während unter dem Rasseln schwerer Eisenketten die Brückenhälften sich knarrend vereinten, blickte Gracia mit einer Mischung aus Hoffen und Bangen auf das zinnenbekrönte Tor, das sie gleich durchschreiten würde. Keine Macht der Welt, so schien es, konnte dieser Festung etwas anhaben. Würde sie hinter ihren dicken Mauern das Recht finden, das man ihr in Venedig verwehrte?
Monate waren vergangen, seit José ins Morgenland aufgebrochen war, um den Herrscher der Osmanen um Hilfe zu bitten, doch seit Wochen schon war Gracia ohne Nachricht von ihm. Sie hatte sich darum an Herzog Ercole gewandt mit der Bitte, das Urteil des Zehnerrats im Streit mit ihrer Schwester einer Prüfung nach Ferrareser Recht zu unterziehen. Wenn der Sultan zögerte, ihr zu ihrem Recht zu verhelfen, musste sie selbst für Gerechtigkeit sorgen, indem sie vor Gericht die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen erstritt. Doch würde der Herzog von Ferrara es wagen, sich dem Schiedsspruch von Venedig zu widersetzen? Als Voraussetzung dafür, dass Gracia wieder Zugriff auf ihre dort zurückgehaltenen Gelder bekäme?
Während Samuel Usque in einem Vorzimmer wartete, betrat Gracia den Saal der Morgenröte, dessen prachtvolle Deckenfresken in allegorischer Darstellung den eiligen Fluss der Zeit zeigten. Ercole, ein großgewachsener Mann in den besten Jahren, mit hoher Stirn und schwarzen Augen, die ebenso freundlich wie aufmerksam aus einem bärtigen Gesicht hervorschauten, wandte sich bei Gracias Eintreten vom Fenster ab, wo er sich mit einigen Ministern und Kanzleibeamten beraten hatte, um sie mit ausgebreiteten Armen zu empfangen.
»Dona Gracia«, rief er und beugte sich zum Kuss über ihre Hand. »Wie schön, Euch zu sehen! Doch warum kommt Ihr allein ? Meine Frau, die Euch herzlich grüßen lässt, hat mir verraten, dass Ihr eine Überraschung für uns bereithaltet. Wie Ihr Euch denken könnt, bin ich mehr als begierig, das fertige Werk zu sehen.« »Ich weiß, wie sehr Euch das Werk am Herzen liegt«, erwiderte Gracia. »Einer der Autoren hat mich darum begleitet. Er wird Euch später seine Aufwartung machen. Doch ich dachte, vorher sollten wir vielleicht ...«
»Natürlich, natürlich«, fiel Ercole ihr ins Wort und trat an ein Pult, auf dem ein dickleibiger Akt aufgeschlagen war. »Zuerst das Geschäft.« Mit ernster Miene blätterte er in den Dokumenten. »Wir haben Euren Fall eingehend geprüft, zumal wir in der Zwischenzeit neue Erkenntnisse gewonnen haben, die ein gänzlich anderes Licht auf den Vorgang werfen.« Er hob einen engbeschriebenen Bogen Papier in
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