Die Gottessucherin
doch noch gar nicht richtig dunkel.« »Um das zu entscheiden, gibt es ein sicheres Zeichen«, sagte Tristan und trat mit La Chica auf dem Arm ans Fenster. »Man muss nur nachschauen, ob schon drei Sterne am Himmel stehen. Du weißt doch, wenn du drei Sterne am Himmel siehst, dann musst du ...«
Brianda unterbrach ihn mit einem Räuspern und warf einen bedeutungsvollen Blick auf das Kindermädchen. Tristan verstand. »Was muss ich denn, wenn ich drei Sterne sehe?«, fragte La Chica.
»Das erkläre ich dir ein andermal. Jetzt sag uns gute Nacht.« »Gute Nacht, Onkel Tristan!« »Gute Nacht, mein Schatz. Schlaf schön!« La Chica gab ihm einen Kuss, und nachdem sie auch ihre Mutter geküsst hatte, ließ Tristan sie zu Boden. An der Hand des Mädchens verschwand sie zum Flur hinaus.
»Sie mag dich fast noch mehr als mich«, sagte Brianda, als die Tür sich hinter ihnen schloss.
»Für mich ist sie wie eine Tochter«, sagte er. »Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, ohne sie zu leben.« »Wirklich?« Brianda nahm seine Hand. »Wenn du sie so liebhast - dann, bitte, tu es für sie! Meine Schwester darf den Prozess nicht gewinnen! Wenn Gracia gewinnt, nehmen sie mir mein Kind weg!
Unser
Kind!«
Sie drückte seine Hand, doch statt den Druck zu erwidern, trat er einen Schritt zurück.
»Wir haben das Unheil selbst heraufbeschworen«, sagte er mit düsterer Stimme.
»Du meinst, weil wir ... ?«
Tristan nickte. »Wir hätten deine Schwester niemals anzeigen dürfen. Das war eine schwere Sünde. Sie hat so vielen Juden geholfen. Und sie tut es immer noch.«
Brianda holte tief Luft. »Dann ... dann bereust du also doch, dass du dich damals für mich entschieden hast?«
Als er schwieg, ließ sie seine Hand los.
»Du hast mir einmal versprochen, du würdest alles für mich tun - alles. Und wenn es dich deine Seele kosten würde. Hast du das vergessen? Du ... du wolltest ...« Sie war so enttäuscht, dass ihr die Stimme versagte.
Tristan stöhnte leise auf. »Versteh doch«, sagte er. »Ich habe damals die Frau verraten, die mehr für unser Volk getan hat als jeder Mann. Aus Liebe zu dir. Willst du, dass ich jetzt auch noch Gott verrate?«
Brianda schaute ihn an. Es war schon so dunkel, dass sie sein Gesicht kaum noch erkannte. Nur als einen Schatten sah sie ihn, den Mann, den sie mehr liebte als ihr eigenes Leben. Doch trotz der Dunkelheit spürte sie die Angst in seinen Augen - die Angst vor ihrer Bitte.
Draußen auf dem Kanal sang irgendwo ein Gondoliere. »Nein«, flüsterte Brianda und schüttelte den Kopf. »Wenn ich das von dir verlange, würde ich dich für immer verlieren.« Sie trat auf ihn zu, um ihn zu küssen. Doch noch bevor ihre Lippen ihn berührten, flog plötzlich die Tür auf, und Soldaten drängten in den Raum.
33
Das Offizium der Heiligen Venezianischen Inquisition war in einem Seitenflügel des Dogenpalastes untergebracht. Doch von der gesitteten Strenge, die eine solche Glaubensbehörde erheischte, war in dem neuen Amtssitz wenig zu spüren. Statt ernster Glaubensknechte in härenen Gewändern, die sich in Gebet und Gottesfurcht ergingen, schwebten allerhand weibische Prälaten in seidenen Soutanen und brokatverzierten Samtpantoffeln tuschelnd und kichernd über die Flure. Das eitle Gepränge, das hier herrschte, war Cornelius Scheppering fast so unerträglich wie die jüngsten Nachrichten aus Ferrara. Kaum war die Pest dort besiegt, war in dem antipapistischen Herzogtum wieder der alte Glaubensschlendrian eingekehrt. Ercole hatte, vermutlich auf Drängen seiner Leibjüdin Gracia Mendes, ein Dekret erlassen, das spanischen und portugiesischen Conversos abermals freies Geleit garantierte. Herrgott - welche Zeichen musste der Himmel denn noch schicken, damit die Fürsten dieser Welt begriffen, was auf dem Spiel stand? Kardinal Carafa, von dem es hieß, er würde dermaleinst vielleicht den Heiligen Stuhl erklimmen, war zu Recht wütend und verlangte ein Ende des widerlichen Treibens. Müde rieb Cornelius Scheppering sich die von eitrigen Pusteln übersäten Schläfen, während er auf Brianda Mendes wartete. Er hatte sie an diesem spätherbstlichen Vormittag zum Verhör bestellt. Würden seine Kräfte reichen, um seinen Kampf bis an ein sieghaftes Ende zu führen? Die Geißel Gottes zeichnete ihn mit immer deutlicheren Spuren. Der ständigen Furcht, dass sein Gedärm oder seine Blase sich unkontrolliert entleerte, hatte er Abhilfe durch das Tragen rauer Windeln geschaffen, die ihn in
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