Die Gottessucherin
Forderungen an den Fingern abzuzählen. »Ad primum: Sollte Euer jüdischer Beischläfer Tristan da Costa die Freiheit wiedererlangen, darf er nicht länger unter Eurem Dach leben, er muss zurück ins Ghetto. Nur dann kann ich die Klage gegen ihn fallenlassen. Ad secundum«, fuhr er mit kräftiger Stimme fort, als er sah, dass Brianda protestieren wollte, »trage ich Euch auf, künftig eine Haube zu benutzen. Ob Christin oder Jüdin - nur Hurenweiber lassen ihr Haar unbedeckt.«
Brianda beeilte sich, ihren Scheitel zu verhüllen. »Und drittens?«, fragte sie.
»Kompromisse in Glaubensdingen sind mir verhasst«, erklärte Cornelius Scheppering. »Dennoch, ich meine, obzwar ... oder vielmehr deshalb ... Ad ... ad ... ad ...«
Mitten im Satz hielt er inne, um nach dem Wort zu suchen, das ihm abhandengekommen war. War es die Krankheit, die seine Zunge hemmte? Oder der Widerwille seiner Seele gegen das, was er zu sagen hatte? Cornelius Scheppering kramte in seinem Kopf wie in einer dunklen Rumpelkammer. Dem Himmel sei Dank -der Heilige Geist ließ ihn nicht im Stich! Ein Licht erleuchtete seinen Verstandeskasten und brachte wieder Ordnung in seine Gedanken.
»Ad tertium«, setzte er seine Rede fort, »verlange ich von Euch, dem Schiedsspruch von Ferrara zuzustimmen.« »Und
dafür
lasst Ihr Tristan da Costa frei?«, fragte Brianda ungläubig.
Cornelius Scheppering konnte ein feines Lächeln nicht unterdrücken. »Das Ferrareser Urteil«, sagte er, »verspricht Eurer Schwester zwar einige Vorteile, in Wahrheit aber wird es ihr zum Schaden gereichen und Euch in die Lage versetzen, zu Eurem Recht zu gelangen. Vor allem sollt Ihr die Gewissheit haben, dass Eure Tochter Eure Tochter bleibt und Ihr der Vormundschaft nicht etwa verlustig geht.«
Mit einer Mischung aus Furcht und Misstrauen sah Brianda ihn an. »Warum macht Ihr Euch meine Sache zu eigen?«, fragte sie. »Was ist Euer Preis?«
»Hochmut, dein Name ist Weib!«, erwiderte er. »Nicht
Eure
Sache mache ich mir zu eigen, sondern die Sache Gottes! Ich verlange nur, dass sein Wille geschehe!« Er hob den Arm und zeigte mit dem Finger auf sie. »Ihr sollt Gottes Werkzeug sein, damit die himmlische Gerechtigkeit Eure Schwester ereilt. Gracia Mendes kann die Gelder, auf die sie Anspruch erhebt, nur kassieren, wenn sie nach Venedig kommt und die Vereinbarung mit ihrer Unterschrift beglaubigt. Dieser Versuchung wird sie nicht widerstehen.«
Brianda schüttelte den Kopf. »Das wird sie niemals tun. Sie wird die Falle ahnen.«
»Da kennt Ihr Eure Schwester schlecht!« Cornelius Scheppering lachte kurz auf. »Wenn nur noch zwei Juden auf der Welt wären, der eine würde dem anderen den Strick verkaufen, mit dem dieser ihn aufknüpfen will, da bin ich sicher. - Nein, Eure Schwester kann nicht aus ihrer Haut. Sie ist eine Jüdin - die Aussicht auf das viele Geld wird stärker sein als ihre Vorsicht.«
34
Selten war Gracia Mendes so unschlüssig gewesen wie in diesem Winter. Sollte das alte Jahr zur Neige gehen, ohne dass sie Antwort auf eine Frage fände, die vielleicht über ihr ganzes künftiges Leben entscheiden würde? Sollte sie nach Venedig reisen, um sich mit ihrer Schwester zu vergleichen und ihren Besitz aufzuteilen? Oder sollte sie das Angebot des Zehnerrats auf Anerkennung des Ferrareser Kompromisses ausschlagen, um ihren Anspruch auf das ungeteilte Erbe der Firma Mendes aufrechtzuerhalten?
Gracia hatte gehofft, Brianda mit ihrer Klage zur Vernunft zu bringen, ohne dass sie einen Fuß in die Lagunenstadt zu setzen brauchte, wo sie selbst nach wie vor unter Anklage stand. Wenn es ihre von Gott gewollte Mission war, ihrem Volk Land zu geben, benötigte sie Geld - so viel Geld, wie sie nur auftreiben könnte. Doch sie hatte nicht mit der Reaktion ihrer Schwester gerechnet. Statt unter Gracias Fittiche zurückzukehren, hatte Brianda sich völlig unverhofft bereit erklärt, den Schiedsspruch von Ferrara anzuerkennen, um künftig ein Leben ohne die Vormundschaft ihrer Schwester zu führen. Gracia wusste nicht, wie sie Briandas Unbotmäßigkeit deuten sollte. War diese Entscheidung ein Fingerzeig des Himmels ? Wollte Brianda sich mit dem Spatzen in der Hand begnügen, statt auf die Taube auf dem Dach zu hoffen ? Oder war die Einwilligung in den Kompromiss nur der Versuch, sie nach Venedig zu locken, eine ganz gemeine Falle ? Gleich zu Beginn des neuen Jahres zogen dunkle Wolken am heiteren italienischen Himmel auf. Zwar hatte Herzog Ercole die Tore seiner
Weitere Kostenlose Bücher