Die Gottessucherin
nicht wusste, wovon er sprach.
»Ja, Ihr habt richtig gehört!«, wiederholte Ercole. »Vor das Glaubensgericht! Dahin sollte ich Euch zerren! Dann würdet Ihr schon sehen! Ein für alle Mal!«
Gracia starrte den Herzog an. Hatte Gott ihm diese Worte eingegeben? Um ihr den Weg zu zeigen?
Plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte. Ohne einen Gruß ließ sie Ercole stehen und kehrte in ihren Palast zurück. Noch heute würde sie einen Brief schreiben. An Cornelius Scheppering, den Großinquisitor von Venedig.
32
»Du musst deinem Glauben abschwören«, erklärte Brianda. »Bist du von Sinnen? Warum sollte ich das tun?« Tristan da Costa sah sie ratlos an.
»Gracia hat Klage gegen mich erhoben. Vor dem Glaubensgericht. Wegen Juderei!«
»Das ist doch lächerlich! Du kleidest dich wie eine Christin, du gehst zur Messe und zur Beichte - du trägst nicht mal ein Kopftuch,
um dein Haar zu bedecken. Was sollte man dir zum Vorwurf machen?« »Dich!« »Mich?«
Brianda nickte. »In der Klage heißt es, ich würde dir Unterschlupf gewähren - einem heimlichen Juden. Du schläfst in meinem Palast, statt nachts ins Ghetto zurückzukehren. Das reicht, um mich zu verurteilen.«
In ihren zitternden Händen hielt sie immer noch das Schreiben, das sie am Nachmittag bekommen hatte: eine Vorladung der Inquisition, ausgefertigt und unterzeichnet von Cornelius Scheppering.
»Warum?«, fragte Tristan. »Warum sollte deine Schwester so etwas tun? Sie ist doch selbst eine Jüdin! Niemand wurzelt stärker in unserem Glauben als sie.«
»Dafür gibt es nur einen Grund«, sagte Brianda. »Gracia braucht Geld. Sie will das ganze Erbe für sich.«
»Du meinst, sie verklagt dich wegen Juderei, nur um an dein Geld zu kommen? Das kann ich nicht glauben.« »Du kannst glauben, was du willst - ich kenne sie besser. Immer bildet sie sich ein, dass sie im Recht ist. Als hätte Haschern persönlich sie auserwählt. Aber soll das Gottes Wille sein, dass ich hier verhungere? Ich habe die gleichen Rechte wie sie!« Brianda zerknüllte den Brief und warf ihn auf den Boden. »Bitte, Tristan. Du musst mir helfen! Du brauchst doch nur vor Gericht zu erklären, dass du fortan als Christ leben willst. Und zu Jörn Kippur bittest du wie immer um Entbindung von den Gelübden - keiner kann dir einen Vorwurf machen.«
Obwohl er sah, wie sehr sie litt, wich er ihrem Blick aus. »Weißt du, was du von mir verlangst? Ich soll den Herrn verleugnen und wieder das verhasste Lügenleben anfangen? Wie früher in Lissabon? Auf der Straße ein Christ und zu Hause ein Jude? Nur weil ihr euch um Geld streitet?«
»Ich weiß, wie wichtig dir dein Glaube ist, und ich kann dir gar 5°7
nicht sagen, wie schwer es mir fällt, dich darum zu bitten. Aber ich habe Schulden. Der Palast, die Zinsen ... Außerdem, wenn sie mich verurteilen, sperren sie mich womöglich ein, und es geht doch nicht nur um mich ...«
Noch während sie sprach, ging die Tür auf, und La Chica kam herein, an der Hand eines Kindermädchens. »Onkel Tristan!«, rief sie, als sie den Freund ihrer Mutter sah, und riss sich los, um ihm auf den Arm zu springen. »Wen haben wir denn da?« Er hob sie in die Höhe. »Bist du gekommen, um gute Nacht zu sagen?«
»Jetzt schon?« La Chica schüttelte den Kopf. »Ich will noch nicht ins Bett! Ich bin doch schon groß! Aber schau mal«, sagte sie ganz aufgeregt, »was ich für dich habe! Das habe ich selbst gestickt.« »Das ist aber schön! Was ist das?« »Eine Hülle. Für dein Gebetbuch.«
Brianda wurde es ganz warm ums Herz. Es war ein solcher Segen, dass die beiden sich gut verstanden. La Chica war inzwischen zehn Jahre alt, und noch immer musste Brianda an Diogo denken, wenn sie ihre braunen Augen sah. Jetzt strahlte ihre Tochter mit diesen braunen Augen Tristan so glücklich an, als wäre er ihr leiblicher Vater.
»Das hast du großartig gemacht«, sagte Tristan. »Davon hätte ich gern hundert Stück. Bis wann könntest du das schaffen?« »Hundert Stück?«, rief La Chica. »Wofür?« »Um sie zu verkaufen. Am besten eine ganze Schiffsladung. Damit werden wir reich.« »Meinst du wirklich?«
»Ganz bestimmt«, sagte Tristan mit ernstem Gesicht. »Ich habe noch nie eine so schöne Buchhülle gesehen, auf der ganzen Welt nicht. Könige und Kaiser haben keine schöneren.« »Auch nicht der Sultan?« »Nicht mal der!«
»Schluss für heute!« Brianda klatschte in die Hände. »Höchste Zeit zum Schlafen!«
»Ooooh, bitte nicht. Es ist
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