Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
das Wort ab. »Die Herzogin war so glücklich über das Geschenk. So glücklich wie am Tag ihrer Hochzeit, das hat sie selbst gesagt.«
    »Lasst gefälligst meine Frau aus dem Spiel!«, erwiderte Ercole. »Hier geht es um Politik!«
    »Und Ihr habt zugelassen, dass dieser Mann ermordet wurde!«, fuhr Gracia fort. »Unter Euren Augen! Zusammen mit Dutzenden anderer Menschen, die sich auf Euer Wort, das Wort des Herzogs, verlassen haben! Wie wollt Ihr der Herzogin je wieder in die Augen schauen?«
    »Jetzt habe ich aber genug!« Ercoles Gesicht war rot vor Zorn, und um seine funkelnden Augen zuckte es, als er mit lauter Stimme rief: »Was zum Teufel geht Euch das Judenpack überhaupt an? Ihr habt mit alledem doch gar nichts zu tun! Ihr lebt in meiner Stadt so sicher wie in Abrahams Schoß! Ihr genießt dieselben Rechte wie jeder Christenmensch! Ich habe Euch sogar berechtigt, Sklaven zu halten! Wie undankbar Ihr seid! Während all das Elend geschah, von dem Ihr so wortreich berichtet, habt Ihr unter meinem Schutz die Nacht in Eurem Palast verbracht.« Er machte eine Pause und schnappte nach Luft. Doch bevor Gracia etwas einwenden konnte, verbot er ihr mit einer Handbewegung den Mund. »Nein! Ihr habt nicht den geringsten Grund, Euch zu beschweren! Auf den Knien solltet Ihr vor mir liegen, die Füße solltet Ihr mir küssen.« Wieder musste er Luft holen. »Ach, hätte ich nur auf meine Minister gehört! Sie haben mir dringend abgeraten, Euch aufzunehmen! Angefleht und beschworen haben sie mich - wieder und wieder! Weil Juden immer nur Zwietracht und Unfrieden säen, überall, wohin sie kommen! Gott möge mir verzeihen! Ich habe gesündigt! Ich werde die Beichte ablegen müssen ...«
    Sein Atem ging so kurz, dass er sich gezwungen sah, in seinem Wortschwall innezuhalten. Während er vollkommen außer sich auf und ab marschierte, die Arme erregt um sich werfend und vereinzelte abgehackte Worte ausstoßend, begriff Gracia das ganze Ausmaß ihres Fehlers. Sie hatte sich an den Herzog von Ferrara geklammert in der Hoffnung, dass er seine Hand nicht nur über sie, sondern über alle ihre Glaubensbrüder halten würde. Was für ein Wahn! Ercole hatte die Juden im Stich gelassen, genauso wie der Sultan sie im Stich ließ, und seinen Schutz allein auf Gracia Mendes beschränkt. Weil Gracia Mendes reich war und die anderen arm. Weil er sich an ihrem Reichtum bereichern konnte, an der Armut der anderen aber nicht. Darum hatte sie überlebt, darum waren die anderen gestorben. Das war die einfache Wahrheit.
    Gracia schloss die Augen. Was hatte sie getan, dass Gott sie mit ihrem eigenen Leben strafte?
    »Irgendjemand musste doch überleben, damit die Prophezeiung sich erfüllt, irgendwann, die Prophezeiung vom Gelobten Land ...«
    Wie aus weiter Ferne erreichten sie die Worte ihrer Mutter, mit denen die ihr eigenes Überleben gerechtfertigt hatte, damals nach dem Massaker auf der Praca do Rossio, der Zwangstaufe der zwanzigtausend.
    Es war wie eine Offenbarung. Als hätte jemand den Schleier fortgezogen, der ihr seit Jahr und Tag die Sicht verdeckte, erkannte Gracia plötzlich die Wahrheit, die dem Schicksal ihres Volkes innewohnte: Nur wer eigenes Land besitzt, hat auch eigenes Recht! Dies war der Grund für alles Unrecht, das den Juden in den Tausenden Jahren ihrer Geschichte widerfahren war, seit ihrer ersten Vertreibung. Daran würde sich nie etwas ändern. Solange sie kein eigenes Land besaßen, würden sie immer rechtlos sein, ausgesetzt der Willkür und Gewalt fremder Potentaten. Während Ercole weiter gestikulierend den Saal der Morgenröte durchmaß, ohne Gracia eines Blickes zu würdigen, sah sie vor ihrem inneren Auge plötzlich einen paradiesischen Garten, so deutlich und lebendig, dass sie den Duft der Orangen und Pinien und Datteln zu riechen glaubte, die an den Ufern eines Flusses standen, dessen Fluten stillzustehen schienen: das Gelobte Land, das der Prophet den Juden verheißen hatte ...
    Ein Schauer lief Gracia über den Rücken. War das ihre Mission - ihrem Volk dieses Land zu geben? Die Mission, weshalb Gott sie am Leben erhalten hatte? Die Mission, von der Rabbi Soncino einst sprach, als er sie drängte, das Erbe anzunehmen?
    »Vor das Glaubensgericht«, schnaubte Ercole, der immer noch darum kämpfte, seiner Erregung Herr zu werden. »Ein Wort würde genügen, ein einziges Wort! Und alles wäre meins - Euer ganzes Vermögen! Zum Segen meiner Untertanen!«
    »Vor das Glaubensgericht?«, fragte Gracia, die gar

Weitere Kostenlose Bücher