Die Gottessucherin
täglicher Demutsbelehrung daran gemahnten, dass vor Gottes Augen auch ein Inquisitor der heiligen katholischen Kirche nur ein hilfloses Kind ist. Weit schwerer trug er daran, dass er sich fortwährend wie im Fieber fühlte. Die Abgeschlagenheit hatte so vollständig von ihm Besitz ergriffen, dass sie ihn manchmal zu zermürben drohte, und zu allem Überfluss konnte es bisweilen geschehen, dass seine Zunge ihm plötzlich den Dienst verweigerte und er mitten in einem Satz die Sprache verlor. »Die Wege des Herrn sind unergründlich«, murmelte er und versuchte sich zu straffen, während er die Akten auf dem Tisch ordnete. Neue Hoffnung in seinem Glaubenskampf hatte ihm ausgerechnet seine Widersacherin gegeben. Gracia Mendes hatte ihre eigene Schwester der Juderei bezichtigt. Was für ein Geschenk des Himmels! Auch wenn der Zweck der Klage nur allzu durchsichtig war - Gracia Mendes war eine Jüdin, die vor dem Götzen Mammon niederkniete -, war Cornelius Scheppering fest entschlossen, den Angriff der Klägerin gegen diese selbst zu richten, indem er die Beklagte zu einem Werkzeug der himmlischen Vorsehung schmiedete. Zu diesem Zweck hatte er Brianda Mendes zum Verhör geladen und ihren Sachwalter Tristan da Costa einsperren lassen.
»Wisst Ihr eigentlich, welche Strafe Euch droht, wenn es zum Prozess kommt?«, empfing er Brianda gleich an der Tür. »Bitte, lasst Tristan da Costa frei. Ohne seinen Beistand bin ich verloren.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu. »Was erwartet Ihr von mir?«, herrschte Cornelius Scheppering sie an. »Auf Judaisieren steht die Todesstrafe! Herrgott - hatte ich Euch nicht meine Hand ausgestreckt? Wie konntet Ihr mich nur so enttäuschen?«
Brianda wurde blass. Cornelius Scheppering sah es mit Wohlgefallen.
»In anderen Orten«, fuhr er frohgemut fort, »werden Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Wisst Ihr, wie man hier in Venedig mit ihnen verfährt?« Sie schüttelte nur stumm den Kopf.
»Nun, man ersäuft sie. Ist das Urteil gesprochen, holt man den Gottesleugner aus seinem Kerker und bringt ihn bei Nacht in einem Boot aufs offene Meer hinaus, wo ein zweites Boot auf ihn wartet. Zwischen die Boote wird eine Planke gelegt, auf welche der Gefangene sich niederlässt, sobald man ihm einen schweren Stein an die Füße gebunden hat. Auf ein Zeichen hin fahren die Boote auseinander, und der Verurteilte sinkt in dunkle Tiefe, ohne dass seine Wehklage auch nur ein einziges menschliches Ohr rühren kann.«
Cornelius Scheppering schwieg, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten. Und richtig, Brianda Mendes schlotterte am ganzen Leib, und ihre Zähne schlugen so heftig aufeinander, dass sie kaum zu sprechen vermochte.
»Tristan da Costa lebt im Ghetto, wie die Vorschrift für Juden es verlangt, und ich ... ich bekenne mich zur heiligen katholischen Kirche«, stammelte sie. »Ich gehe zur Messe und zur Beichte. Ich trage nicht mal eine Haube, um mein Haar ...« »Habt Ihr nicht gelesen, was man Euch vorwirft?«, fiel Cornelius Scheppering ihr ins Wort. »Ihr versteckt einen Juden in Eurem Palast! Ich habe Nachforschungen anstellen lassen. Euer Agent schleicht sich mit dem gelben Hut aus dem Ghetto, um ihn in der Stadt gegen ein schwarzes Barett auszutauschen, in der hinterhältigen Hoffnung, damit für einen Christen zu gelten. Aber solcher Mummenschanz ändert nichts an der Wahrheit. Zwei Dominikaner haben Euch beobachtet. Tristan da Costa ist ein Jude, seine Seele ist so gelb wie das Dotter eines frisch gelegten Hühnereis, und Ihr treibt Unzucht mit ihm.« »Was ... was verlangt Ihr von mir?«
Cornelius Scheppering musterte die Angeklagte mit zusammengekniffenen Augen. Brianda Mendes war nicht nur ein Judenliebchen. Aus sicherer Quelle war ihm zu Ohren gekommen, dass sie freitags in ihrem Prachthaus Fleischgerichte zu sich nahm - ein Arzt, der das Geld mehr liebte als Jesus Christus, hatte ihr eine entsprechende Verschreibung ausgestellt, die sie beim Gemeindepfarrer von San Marcuola eingereicht hatte. Trotzdem - Cornelius Scheppering war ein Mann Gottes, und seine Pflicht war es, ihre Seele aus den Fängen Luzifers und seiner Buhle zu retten.
»Ich bin auf Eurer Seite und gewillt, Euch zu helfen«, erklärte er, »um Eures ewigen Lebens willen und des Seelenheils Eurer Tochter. Aber nur, wenn Ihr mir versprecht, alles zu tun, was ich Euch auftrage. Seid Ihr dazu bereit?« Brianda nickte, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen. Cornelius Scheppering hob beide Hände, um seine
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