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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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recht. Aber«, Amatus Lusitanus zögerte einen Augenblick, »was wird sein, wenn Dom José zurückkommt? Dürfen die zwei dann endlich heiraten?«
    »Wollt Ihr mich quälen?« Gracia stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ihr wisst doch selbst, was auf dem Spiel steht«, sagte sie dann. »Der Preis wäre zu hoch.«
    Wieder hatte sie das Bedürfnis, sich die Hände zu waschen, doch obwohl es wie ein Zwang über sie kam, unterdrückte sie die Anwandlung. Statt zum Wasserkrug zu greifen, wandte sie sich ab und schaute zum Fenster hinaus auf die Meerenge, wo zwischen den Landzungen so viele Schiffe kreuzten, dass sie sich gegenseitig den Wind aus den Segeln nahmen. Am anderen Ufer, im Hafen von Stambul, lag die Fortuna vor Anker. Eine Familie mit einem halben Dutzend Kindern und ebenso vielen Alten ging gerade von Bord. Der Anblick war Balsam für Gracias geschundene Seele. Wieder war es gelungen, Menschen zu retten.
    »Ihr habt es ihnen versprochen«, sagte Amatus Lusitanus in die Stille hinein.
    »Ja, das habe ich«, wiederholte Gracia. »Aber soll ich dafür Tiberias opfern? Fast täglich kommen neue Flüchtlinge hier an, verfolgte Glaubensbrüder aus der ganzen Welt. Für diese Menschen sind wir die einzige Hoffnung. Wir müssen ihnen eine neue Heimat geben.«
    »Ich weiß, Senhora. Aber dürft Ihr dafür Reynas Liebe opfern? Soll sie den Preis zahlen?«
    »Bitte nennt mich nicht Senhora. Wir kennen uns doch schon so lange. Ihr seid mein Freund.«
    »Dann frage ich Euch ein zweites Mal, Dona Gracia, und diesmal mit Eurem Namen: Soll Reyna den Preis zahlen?« Gracia wusste nicht, was sie antworten sollte. Die Flüchtlingsfamilie war jetzt an Land. Der Vater schien seinen Kindern irgendetwas erklären zu wollen. Genauso beladen wie die Alten, scharten die Kinder sich um ihn und blickten ängstlich in die Richtung der Stadt, auf die er mit dem Finger zeigte. Offenbar gab es niemanden, der auf die Familie wartete.
    Amatus Lusitanus räusperte sich. »Ja, wir kennen uns schon seit vielen Jahren, und ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, wie viel mir Eure Freundschaft bedeutet. Doch jetzt - jetzt macht Ihr mir Angst.«
    Gracia drehte sich um. »Was sagt Ihr da?« »Ja«, bestätigte er, »Angst. Ihr fangt an, unseren Feinden zu gleichen. Ihr seid genauso unbeugsam wie sie. - Kennt Ihr Epikur?«, fragte er, bevor sie etwas entgegnen konnte. »Nein, wer ist das?«
    »Ein griechischer Philosoph. Er hat einmal gesagt: Wer Angst verbreitet, trägt Angst in sich.«
    »Was hat das mit mir zu tun?« Gracia versuchte zu lachen, aber es gelang ihr nicht. »Wenn ich Angst hätte, wie Euer Epikur behauptet, hätte ich meinem Glauben längst abgeschworen und wäre in Lissabon geblieben.«
    Amatus Lusitanus nickte. »Ja, Ihr seid eine mutige Frau«, sagte er, »die mutigste Frau, die ich kenne. Trotzdem habt Ihr Angst. Nicht vor Euren Feinden oder irgendeiner äußeren Gefahr. Ihr habt Angst vor Euch selbst. Vor Eurem Herzen. Vor Eurer Liebe.«
    »Was fällt Euch ein, so mit mir zu sprechen? Dazu habt Ihr kein Recht!«
    »Ich habe kein Recht zu
schweigen«,
sagte er. »Seit dem Tod Eures Mannes habt Ihr die Liebe aus Eurem Herzen verbannt. Und jetzt fordert Ihr denselben Verzicht von Eurer Tochter.« Gracia kehrte ihm den Rücken zu. »Ihr wisst ja nicht, wovon Ihr redet«, sagte sie.
    Während draußen am Hafen die Familie in irgendeiner Gasse von Stambul verschwand, spürte Gracia, wie ihr die Tränen kamen. Liebe - sie konnte das Wort nicht mehr hören. Aus Liebe zu ihrem Glauben hatte sie sich an Francisco versündigt. Aus Liebe zu ihrem Mann war sie Cornelius Scheppering zu Willen gewesen. Aus Liebe zu Reyna hatte sie sich an Diogos Tod und dem Tod zahlloser Juden schuldig gemacht ...
    »Menschen sind nicht auf der Welt, um zu lieben«, flüsterte sie. »>Die Liebe ist langmütig<«, erwiderte Amatus Lusitanus. »>Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte, und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte ich aber die Liebe nicht, so nützte es mir nichts!<«
    »Ihr haltet mir das Evangelium vor?«, fragte Gracia empört. »Diese Lehre gehört nicht zu unserem Glauben! Sie gehört zum Glauben der Edomiter!«
    »Ihr wisst, dass ich nicht nur unsere heiligen Schriften lese. Auch die Bücher der Christen enthalten manche Wahrheit.« »Aber die Christen halten sich ja selbst nicht daran! Sie predigen Liebe und säen Hass und Tod!«
    »Wird eine Wahrheit zur Lüge, nur weil ein Lügner sie missbraucht?« Amatus Lusitanus schüttelte

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