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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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den Kopf. »Nein, Dona Gracia, Glaube ist nicht nur Liebe zu Gott, sondern auch Liebe zu den Menschen. Wenn diese Liebe fehlt, wird Glaube zu blindem Eifer. Und der ist oft schlimmer und gefährlicher als Unglaube.« »Wie könnt Ihr als Jude so sprechen?«, fragte Gracia. »>Auge um Auge, Zahn um Zahn< ... So steht es in der Thora.« »In der Thora steht auch: >Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.< Levitikus Kapitel 19, Vers 18. Begreift doch, Dona Gracia, wenn Ihr das Leben und das Glück Eurer Tochter opfert, um Herrschaft über ein Stück Land zu bekommen, handelt Ihr nicht anders als die, die uns verfolgen. Auch sie stellen ihren Gott und ihren Glauben über das Leben und das Glück der Menschen.« »Das alles sind wunderschöne Worte«, erwiderte Gracia. »Und die Welt wäre sicher besser, wenn jeder so handeln würde, wie Ihr es Euch wünscht. Aber ...« »Aber was?«, fragte er.
    »Gott hat mir genügend Zeichen gesandt, um zu wissen, dass ich nicht länger den Weg der Liebe wählen darf.« Bitter wie Galle kamen ihr die Worte über die Lippen. Aber es waren die einzigen, mit denen sie Antwort geben konnte, ohne ihr Gewissen zu betrügen.
    »Bitte, Dona Gracia, im Namen Eurer Tochter! Ihr müsst einen Ausweg finden! Lasst Reyna nicht dafür büßen, was andere an unserem Volk verbrochen haben.«
    Während er sprach, berührte Amatus Lusitanus sie am Arm. Unwillkürlich drehte sie sich zu ihm herum. An seiner Schläfe blühte das Feuermal. Wie wäre ihr Leben wohl verlaufen, wenn dieser Mann sich ihr erklärt hätte, damals in Antwerpen? Vielleicht hätte sie leben dürfen wie alle anderen Frauen ihres Standes auch, umhegt und umsorgt, vielleicht wäre sie sogar noch einmal glücklich geworden. Aber er hatte geschwiegen. »Ich flehe Euch an«, sagte er und nahm ihre Hand. »Hört nicht auf Euren Verstand. Hört auf Euer Herz.« »Woher wollt Ihr wissen, was mein Herz will?«, flüsterte sie. Er erwiderte ihren Blick. »Ich sehe es an Euren Augen, Gracia. Sie sind voller Tränen.«
    Sie zögerte einen Augenblick, es tat so gut, seine Hand zu spüren, und sie wünschte sich, er würde sie nie wieder loslassen. Doch plötzlich hatte sie wieder das Gefühl, ihre Finger würden kleben, und sie zog sie schnell zurück.
    »Nein«, sagte sie. »Tiberias ist wichtiger. Wichtiger als alles andere.«
    »Auch als Reyna?«, fragte Amatus Lusitanus. Gracia nickte. »Wir müssen alle Opfer bringen«, sagte sie und wischte sich die Tränen ab. »Geht jetzt, bitte. Ich ... ich möchte allein sein.«
     

19
     
    Von Kopf bis Fuß wie eine Türkin in Schleier gehüllt, eilte Reyna durch das lärmende Gassenlabyrinth von Stambul zum Hafen. Lag die Fortuna noch am Kai? Oder hatte der Segler schon abgelegt? Sie wusste nur, dass der Viermaster noch heute nach Italien auslaufen würde. Ein Muezzin rief zum Gebet, und Hunderte von Gläubigen ließen ihre Arbeit liegen und liefen zu den Moscheen. Gegen den Strom von Menschen, der ihr plötzlich entgegenquoll, kam Reyna kaum einen Schritt voran. Der Verzweiflung nahe und ohne sich um die wütenden Blicke und Rufe der Passanten zu kümmern, bahnte sie sich einen Weg durch das Gewühl, stieß jeden beiseite, der ihr in die Quere kam. Sie durfte die Fortuna nicht verpassen! Sie hatte ihre Mutter angefleht, den Sultan um Hilfe zu bitten. Süleyman sollte José unter seinen Schutz nehmen, so wie er sie beide unter seinen Schutz genommen hatte, damals in Venedig. Doch ihre Mutter hatte sich geweigert, aus Angst, Tiberias zu gefährden. Jetzt war die Fortuna ihre ganze Hoffnung!
    Außer Atem bog sie um die letzte Hausecke, die sie von der Mole trennte. Als sie den Hafen vor sich sah, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Die Fortuna lag noch am Kai!
    Ein Matrose führte Reyna zur Kapitänskajüte. Dom Pedro, der noch junge Kapitän in frisch gewaschener Uniform, stand bei offenem Fenster über den Kartentisch gebeugt, um den Kurs für die Fahrt abzustecken.
    »Womit kann ich Euch helfen?«, fragte er, als Reyna den Schleier lüftete und er sie erkannte.
    »Ihr müsst für mich eine Botschaft ausrichten. In Italien.« »Gewiss, zu Euren Diensten. Wie ist der Name?« »Brianda Mendes, meine Tante.«
    Dom Pedro runzelte verwundert die Brauen. »Bitte verzeiht mir, aber Dona Brianda lebt in Venedig, und die Fortuna läuft nach Pesaro aus.«
    »Ich weiß«, erwiderte Reyna. »Doch ich habe die Seekarte studiert. Ihr würdet höchstens zwei Tage brauchen, wenn Ihr von Pesaro nach Venedig

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