Die Gottessucherin
weitersegelt.«
»Ist das ein Auftrag Eurer Mutter?«, wollte Dom Pedro wissen. Reyna schüttelte den Kopf.
»Ich bedauere.« Der Gesichtsausdruck des Kapitäns wurde ebenso förmlich wie sein Ton. »In dem Fall muss ich Eure Bitte leider abschlagen. Im Adriatischen Meer wimmelt es von Piraten. Erst vor einem Monat wurde im Golf von Venedig ein Sechsmaster der Affaitati-Brüder mit tausend Sack Pfeffer an Bord gekapert. Wenn Dona Gracia erfährt, dass ich ihr Schiff eigenmächtig und ohne Order einer solchen Gefahr aussetze ...« »Sie wird es erst erfahren, wenn Ihr zurück seid«, fiel Reyna ihm ins Wort. »Und wenn Ihr die Fahrt mit einem Geschäft verbindet, wird sie Euch nicht böse sein - im Gegenteil! Kauft Glaswaren in Venedig oder Parmakäse, damit hat meine Mutter immer gute Geschäfte gemacht.« Reyna zögerte einen Moment und sah dem Kapitän ins Gesicht. »Bitte, Dom Pedro«, sagte sie. »Ihr müsst es tun. Wenn nicht für mich, dann für Dom Jose.« »Dom Jose?«
Reyna nickte. »Ja. Sein Leben hängt davon ab. Und ... und meines auch.«
Der Kapitän wandte sich ab. Mit den Händen auf dem Rücken schaute er durch das offene Kajütenfenster zum Hafen hinaus. Reyna glaubte fast zu hören, wie es in seinem Kopf arbeitete. Seit dem Augenblick, als sie von Joses Festnahme in Ancona erfahren hatte, war alles anders. Ihre Zweifel an seiner Liebe, ihr Schmerz und ihre Enttäuschung, die armenische Tänzerin und das Kind - alles das zählte nicht mehr. Sie liebte José, würde ihn immer lieben, ihn und keinen anderen Mann! Daran konnte nichts auf der Welt etwas ändern, weder sein Liebesverrat noch ihre Mutter und erst recht nicht Tiberias oder die Toten von Antwerpen ...
Nach endlos langen Minuten drehte der Kapitän sich wieder zu ihr um. »Also gut, was soll ich Dona Brianda ausrichten?« »Tausend Dank, Dom Pedro!« Reyna drückte ihm mit beiden Händen die Hand. »Sagt meiner Tante, Tristan da Costa soll nach Ancona fahren, um Dom José freizukaufen. Er soll den Dominikanern geben, was sie wollen - Hauptsache, sie lassen Dom José am Leben.«
»Meint Ihr, Dona Brianda ist dazu bereit?«, fragte der Kapitän. Reyna wusste nicht, was sie antworten sollte. Vielleicht würde Brianda nicht einmal den Brief öffnen, wenn sie ihre Schrift erkannte. Schließlich hatte sie mit ihrem Auftritt in Venedig verhindert, dass ihre Tante mit nach Konstantinopel gekommen war. Und das, obwohl Brianda vielleicht sogar die Wahrheit gesagt hatte, damals in ihrem Palast ...
»Sie und Eure Mutter haben sich im Streit getrennt«, sagte Dom Pedro, „und Ancona ist für einen jüdischen Kaufmann gefährlicher als ein Meer voller Piraten.«
»Ich weiß«, sagte Reyna. »Aber Dona Brianda ist die Einzige, an die ich mich wenden kann. Ich habe keine andere Möglichkeit.« Sie holte eine Pergamentrolle unter ihrem Gewand hervor und reichte sie dem Kapitän. »Gebt Dona Brianda diesen Brief. Da steht alles drin. Wenn sie erfährt, was passiert ist, wird sie Dom José helfen. Hoffentlich.«
20
Plop, plop, plop ... Wie viele Male hatte José dieses Geräusch schon gehört? Hunderttausend Mal? Eine Million Mal? Anfangs hatte er mitgezählt. Irgendetwas musste er ja tun, um die Zeit in seinem Verlies totzuschlagen, die Zeit und die Angst. Plop, plop, plop ... Inzwischen wusste er genau, wann der nächste Wassertropfen sich von der nassen Felsendecke lösen würde, hörte das Geräusch bereits im Voraus, spürte es mit all seinen Sinnen, mit der Haut, in den Haar- und den Fingerspitzen, unmittelbar bevor der Tropfen wirklich in die Pfütze fiel, die sich in einer Mulde am Boden gebildet hatte. Plop, plop, plop ...
Siebenundvierzig Tage waren vergangen, seit Cornelius Scheppering ihn der Juderei überführt und zum Tod verurteilt hatte. Siebenundvierzig Tage des Wartens und der Angst. Plop, plop, plop ... Manchmal, wenn er draußen auf dem Gang Schritte hörte, wünschte er sich fast, es wäre der Henker. Warum machte man nicht endlich Schluss mit dieser Tortur? Wollte man ihn noch schwerer bestrafen als mit dem Tod? Plop, plop, plop ... Ungefähr drei Dutzend Marranen waren in den Gewölbekammern eingesperrt, doch kein anderer Gefangener war schon so lange in Haft wie José. Die anderen Angeklagten hatte man nach ihrem Urteil entweder auf Schiffe gebracht, um sie aus Ancona wegzubringen, oder innerhalb weniger Tage hingerichtet. Nachts, wenn die Wächter schliefen, konnten die Gefangenen durch die Gitterstäbe leise
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