Die Gottessucherin
kein Auge zutun konnte. Immerfort musste sie an ihn denken und sah sein Gesicht vor sich. Aber er hatte sie betrogen und ihre Liebe verraten. Würde sie ihm das je verzeihen können? Und selbst wenn sie es könnte - was war mit den Toten von Antwerpen? Dutzende von Menschen, die ihretwegen gestorben waren, auch ihr Onkel Diogo ... Seit ihre Mutter davon gesprochen hatte, lastete die Erinnerung daran auf ihrer Seele. War es nicht ihre Pflicht, diese Schuld zu begleichen? »Wenn du unbedingt willst, kannst du Omar Bey ja mal einladen«, sagte sie schließlich.
»Ach, Reyna ...« Gracia ließ das Handtuch fallen und nahm sie in den Arm. »Du wirst sehen, er ist ein wunderbarer Mann. Wirklich!«
Als sie sich aus der Umarmung lösten, stand Judith im Raum, die neue Dienstmagd.
»Ein Brief aus Italien«, sagte sie. »Der Bootsmaat der Fortuna hat ihn eben gebracht.«
»Aus Italien? Gib her!« Reyna riss ihr das Kuvert aus der Hand. Doch als sie die Schrift sah, erkannte sie, dass er nicht von José stammte. Außerdem war er an ihre Mutter adressiert. Enttäuscht reichte sie den Brief weiter. »Für dich.«
Statt ihn zu nehmen, warf Gracia nur einen Blick darauf. »Oh, von Herzog Guidobaldo? Bitte, mach du ihn für mich auf. Meine Hände kleben noch immer.«
Widerwillig öffnete Reyna den Umschlag. Was ging sie der Herzog von Pesaro an ? Nichts konnte ihr gleichgültiger sein. Aber sie hatte noch keine zwei Zeilen gelesen, da zitterten ihre Hände so sehr, dass die Buchstaben vor ihren Augen zu tanzen schienen. »Was ist?«, fragte ihre Mutter. »Du bist ja kreidebleich!«
»Der Herzog schreibt, José ist nach Ancona gefahren.« Reyna ließ den Brief sinken. Ihr Mund war plötzlich so trocken, dass sie kaum sprechen konnte. »Sie ... sie haben ihn verhaftet ...« »Wer ist sie? Die Inquisition?«
Reyna nickte. »Ja, Cornelius Scheppering hat ihn angeklagt, wegen Juderei. Ihm ... ihm wird der Prozess gemacht.« »Was?!«
Gracia nahm den Brief, um selbst zu lesen. Reyna spürte, wie ihre Knie einknickten.
»Wie konnte er das nur tun?«, flüsterte sie und griff nach einem Stuhl. »Er hatte mir doch versprochen, dass er niemals nach Ancona ...« Bevor sie den Satz zu Ende sprechen konnte, sank sie in Ohnmacht.
17
Cornelius Scheppering erhob seine Stimme. »Ich fordere Euch auf, Euch zu bekennen: Seid Ihr Christ oder Jude?« »Jude«, erklärte José. »Ihr habt also kein Recht, mich anzuklagen. Die Inquisition darf nur rechtmäßig getaufte Christen wegen ihres Glaubens belangen.«
»Haltet Euer freches Maul!«, entgegnete der Dominikaner. »Meint Ihr, auf diese Weise könntet Ihr Euch der Gerechtigkeit entziehen? Bei Eurer Ankunft in Ancona habt Ihr Euch selbst als Christ ausgewiesen. Der Wachsoldat kann das bezeugen.« »Damals musste ich lügen. Als Jude hätte man mich nicht in die Stadt gelassen. Doch das ändert nichts an meinem Glauben.« »Dann behauptet Ihr also weiter, Jude zu sein?« »Allerdings. Und ich verlange, dass Ihr mich freilasst.« Gefesselt und mit Eisenketten an den Beinen, als wäre er ein Mörder oder Kirchenschänder, stand José vor seinem Richter, der zugleich sein Ankläger war. Der Prozess fand im Freien statt, unter dem Triumphbogen am Hafen, zur öffentlichen Abschreckung aller, die im Glauben schwankten. Hunderte von Gaffern drängten sich um das Podium und verrenkten sich die Hälse nach ihm, als wäre er ein Tanzbär auf einem Jahrmarkt. Doch José nahm die vielen Augenpaare, die auf ihn gerichtet waren, kaum wahr. Wenn es ihm nicht gelang, als Jude anerkannt zu werden, war er verloren ... Auf dem Podium, gleich neben dem Richtertisch, befand sich eine Folterbank, vor der ein halbnackter Scharfrichter mit einer schwarzen Kapuze über dem Kopf nur auf einen Befehl von Cornelius Scheppering wartete, um seines Amtes zu walten. Kaum einen Steinwurf davon entfernt lagen die Schiffe am Kai. Fröhlich knatterten ihre Wimpel im Wind. Würde José je wieder eines dieser Schiffe betreten, um hinauszufahren aufs Meer? »Lügner!«, schnarrte Cornelius Scheppering. »Ihr seid kein Jude, sondern Christ! Das Zeugnis des Wachsoldaten würde genügen, um Euch zu überführen. Doch Ihr sollt einen ordentlichen Prozess bekommen, wie Recht und Gesetz es verlangen. Ich werde vor Gott und der Welt beweisen, dass Ihr die Unwahrheit sagt.« Der Scharfrichter beugte sich über die Feueresse und nahm eine glühende Zange von den Kohlen. José spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach, doch er
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