Die Gottessucherin
verbeugte sich. »Prinz Selim ist bereit, Euch zu empfangen.« Reyna prüfte noch einmal den Knoten ihres Schleiers und folgte dann dem Eunuchen hinaus in den Palastgarten. Prinz Selim war ihre letzte Hoffnung. Wochen waren vergangen, ohne irgendein Lebenszeichen von José. Und dann, vor drei Tagen, war im Hafen von Konstantinopel ein Segler aus Italien eingetroffen mit der Nachricht, dass Piraten die Fortuna gekapert hätten, irgendwo zwischen Venedig und Pesaro. Ihre Mutter hatte getobt. Was hatte die Fortuna im Golf von Venedig zu suchen? Die Firma hatte ein Vermögen verloren! Niemand wusste, ob der Überfall auf dem Hin- oder Rückweg von Pesaro passiert war. Reyna hatte also keine Ahnung, ob Dom Pedro schon bei Brianda gewesen war oder nicht. In ihrer Verzweiflung war ihr nur noch ein Mann eingefallen, der ihr helfen konnte: Prinz Selim, Joses Freund. Amatus Lusitanus hatte ihr die Audienz verschafft, ohne Wissen ihrer Mutter, und sich bereit erklärt, sie zu begleiten. Doch Selim hatte darauf bestanden, Reyna allein zu empfangen. Allein oder gar nicht, das war seine Bedingung gewesen. Amatus Lusitanus hatte Reyna beschworen, gut auf sich aufzupassen. »Hier entlang!«
Der Eunuch führte sie in einen kleinen Pavillon, in dessen kühlem, schattigem Innern es nach Rosenwasser duftete. Das war das Einzige, was ihr auffiel - in ihrer Aufregung war sie außerstande, irgendetwas sonst wahrzunehmen. Sie sah nur, dass sich plötzlich vor ihr eine Tür öffnete, und wie Amatus Lusitanus ihr geraten hatte, warf sie sich zu Boden.
»Bitte lasst das, das ist mir peinlich«, sagte eine hohe, sanfte Männerstimme.
Reyna verstand genügend Osmanisch, um aufzustehen. Mit gesenktem Kopf nahm sie auf einem Polster Platz, das der Eunuch ihr anwies. Vorsichtig, um gegen keine Vorschrift zu verstoßen, hob sie den Blick. Als sie den Prinzen sah, wuchs ihre Zuversicht. Mit seinem weichen Gesicht wirkte der Sohn des Sultans nicht so, als müsste man Angst vor ihm haben - im Gegenteil, er schien selbst unsicher zu sein. In kleinen, nervösen Schlucken trank er Wein, obwohl sein muslimischer Glaube ihm das verbot. Ein gutes Zeichen!
»Was führt Euch zu mir?«, fragte er und zwirbelte das eine Ende seines dünnen Barts.
»Ich bin gekommen, um Euch um Hilfe zu bitten«, erwiderte Reyna. »Euer Freund, Dom José Nasi ...«
»Ich bin im Bilde«, fiel Selim ihr ins Wort. »Man hat ihn in Ancona verhaftet.«
»Bitte helft ihm, mein Prinz. Damit kein Unglück geschieht! Er ist auf Eure Freundschaft angewiesen.« Noch während sie sprach, verhärtete sich Selims Gesicht. »Yusuf Bey ist nicht mein Freund«, erklärte er. »Er hat mich verraten. Sein Unglück ist die gerechte Strafe.« »Er ist in den Händen Eurer Feinde. Die Inquisition kennt keine Gnade. Wenn Ihr nicht handelt, wird er sterben!« »Was in Ancona geschieht, steht nicht in meiner Macht. Allahs Wille geschehe!«
»Nicht in Eurer Macht?«, fragte Reyna. »Ihr könnt das Unglück verhindern! Ihr müsst nur mit Eurem Vater sprechen. Der Sultan ist der mächtigste Herrscher der Welt, noch mächtiger als der Papst und der Kaiser!«
Selim nahm einen Schluck von seinem Wein. Während er sich den Mund abwischte, schaute er nachdenklich in sein Glas. »Kennt Ihr den >Mädchenturm«, fragte er schließlich. »Auf der kleinen Insel vor Üsküdar?«
Selim nickte. »Der Turm wurde für eine Prinzessin erbaut, vor vielen hundert Jahren«, sagte er, den Blick weiter in sein Glas gerichtet. »Ein Hellseher hatte vorausgesagt, dass sie durch einen Schlangenbiss sterben werde, und um dieses Schicksal von ihr abzuwenden, ließ ihr Vater sie in dem Turm einschließen. Doch vergebens - die Schlange fand trotzdem zu ihr. Sie kroch aus einem Korb mit Feigen, den ihr Vater ihr geschickt hatte, um ihr eine Freude zu machen.« Selim blickte von seinem Glas auf. »Begreift Ihr den Sinn der Geschichte? - Was geschehen soll, wird geschehen. Niemand kann seinem Kismet entkommen.« Reyna spürte einen Kloß im Hals. »Dann ... dann wollt Ihr also nichts für Dom José tun?« Der Prinz wich ihrem Blick aus.
»Ich weiß«, fuhr sie verzweifelt fort, »Dom José hat Euren Wunsch und Befehl missachtet, als er Euch in Ungarn verließ. Doch wenn Ihr darin einen Verrat seht, so erfolgte er nicht aus mangelnder Freundschaft, sondern aus Liebe.« »Ihr meint - aus Liebe zu Euch?«
»Ja«, bestätigte Reyna. »Es war meine Schuld. Dom José hat Euch verlassen, um mich zu sehen. Um mich zu heiraten.«
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