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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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die Blockade murrten, und es dauerte nicht lange, da waren die Juden, die noch vor wenigen Monaten mit einer einzigen Stimme gesprochen hatten, um den Hafen des Papstes in Bann und Acht zu tun, in zwei Lager gespalten, die sich gegenseitig des Verrats bezichtigten. Um zu verhindern, dass die Reihen des Widerstands auseinanderbrachen, bat Gracia deshalb zum zweiten Mal die Vertreter der wichtigsten jüdischen Gemeinden in die Hauptstadt des Osmanischen Reiches. »Es geht um Leben und Tod«, rief sie der Versammlung in der Synagoge zu. »Der Papst führt einen Kreuzzug gegen uns, wie seine Vorgänger gegen die Muslime! Er will uns vernichten! Wir dürfen deshalb nicht aufhören, ihn zu bekämpfen! Auge um Auge!«
    »Zahn um Zahn!«, erwiderte die Gemeinde im Chor. »Bekämpfen wir den Papst dort, wo wir ihn am empfindlichsten treffen: beim Geld!«
    »Ja, Senhora! Nieder mit den Edomitern! Nieder mit der Inquisition!«
    »Kämpfen wir so lange, bis der Papst in die Knie sinkt!« »Ja, Senhora! Rache für das Blut unserer Glaubensbrüder!« »Auge um Auge!«, wiederholte Gracia. »Zahn um Zahn!«
    Geduldig wartete sie ab, dass die Beifallsbekundungen verstummten. Zum Glück waren die meisten Zuhörer auf ihrer Seite! Doch als sie mit ihrer Rede fortfahren wollte, erhob sich ein alter Mann mit weißem, wallendem Bart von seinem Platz: der Rabbiner von Bursa.
    »Einspruch!«, sagte er und blickte mit seinen klugen alten Augen einmal in die Runde. »Dürfen wir die Stadt Ancona strafen, wenn wir damit unsere eigenen Leute ruinieren? Unsere Glaubensbrüder dort verlangen, dass wir wieder Handel mit ihrem Hafen treiben. Was gibt uns das Recht, ihnen diesen Wunsch zu verweigern? Der Bann schadet ihnen dort mehr als den Christen. Außerdem ist dieser Papst ein Eiferer, er ist nicht mit Geld zu kaufen. Das schreibt auch Rabbi Bassola in seiner Responsa, und er muss es wissen. Er hat sein halbes Leben in Rom verbracht.«
    »Die Responsa haben die ungetauften Juden von Ancona in Auftrag gegeben und bezahlt«, rief der Gemeindeälteste der spanischen Synagoge. »Damit sie wieder Geschäfte machen können. Ihnen sind die Geschäfte wichtiger als ihr Glaube!« »Wer behauptet das? Rabbi Bassola ist ein untadeliger Mann, der seinen Glaubensmut schon viele Male bewiesen hat. Er hat geholfen, Hunderte unserer Brüder und Schwestern vor der Inquisition zu retten. Darum fordere ich euch auf: Macht Schluss mit der Blockade!«
    Er hatte noch nicht ausgesprochen, da brach ein Tohuwabohu aus. Dutzende von Männern meldeten sich gleichzeitig zu Wort, in allen möglichen Sprachen. Gracia spürte, wie die Stimmung schwankte. Würde die Mehrheit zu ihr stehen? Ein Portugiese stieg auf die Treppe der Kanzel, um sich Gehör zu verschaffen. »Ich verstehe Eure Einwände«, sagte er. »Aber was ist mit den getauften Conversos, die in Ancona gefangen sind? Die Edomiter werden sie weiter abschlachten, weil sie nach der Taufe an ihrem Glauben festgehalten haben. Sie sind Juden wie wir! Wollen wir zusehen, wie sie sterben? Während wir mit ihren Mördern Geschäfte machen?«
    Der Rabbiner aus Bursa wollte etwas erwidern, doch Giacobbe Nasone, ein Kaufmann neapolitanischer Herkunft, kam ihm zuvor.
    »Die Conversos, die in Italien geblieben sind, sind an ihrem Schicksal selbst schuld«, erklärte er. »Warum sind sie nicht ausgewandert wie wir? Nach Konstantinopel oder Saloniki oder Jerusalem, wo ihnen niemand etwas tut? Aus einem einzigen Grund: weil sie nicht bereit waren, für ihren Glauben ihre Heimat und ihren Besitz aufzugeben! Nun gut, sie haben sich so entschieden. Doch sollen jetzt diejenigen für ihre Untreue büßen, die ihrem Glauben treu geblieben sind? Wenn wir den Bann aufrechterhalten, gefährden wir nicht nur unsere Geschäfte, sondern auch das Leben aller rechtgläubigen Juden in Ancona, vielleicht sogar in ganz Italien. An ihnen wird der Papst sich rächen, wenn seine Untertanen verhungern!« Ein Beifall, noch stärker als nach Gracias Rede, brandete auf.
    »Richtig!«
    »Das dürfen wir nicht zulassen!« »Schluss mit der Blockade!«
    Nasone hob die Arme. »Außerdem«, fuhr er fort, als der Lärm sich legte, »man hat uns Ersatz für den Hafen von Ancona versprochen. Doch der Hafen von Pesaro ist viel zu klein. Kein Sechsmaster kann dort ankern, das Becken ist nicht tief genug. Wir schlagen in Pesaro nicht mal ein Drittel der Waren um, die wir früher in Ancona umgesetzt haben.«
    »Wir sind bei Herzog Guidobaldo im Wort!«, rief

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