Die Gottessucherin
diamantenübersätes Diadem aufsetzten, um daran den Gesichtsschleier zu befestigen, überkam Reyna eine Trauer, die dunkler war als die dunkelste Nacht. So oft hatte sie davon geträumt, wie sie am Tag ihrer Hochzeit den Brautschmuck anlegen würde. Um sich schön zu machen für José, voller Erwartung und Freude ...
Der Eunuch stellte ihr ein Paar perlenbesetzte Pantoffeln vor die Füße. Ohne zu wissen, was sie tat, schlüpfte Reyna hinein. Hände griffen ihre Arme, ein sanfter, aber bestimmter Druck, und plötzlich stand sie wieder vor dem Prinzen, der mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden hockte. Lautlose Schritte, die sich entfernten, eine Tür, die wie von einem Lufthauch geschlossen wurde - dann war sie mit dem fremden Mann allein. »Wie schön du bist«, flüsterte Selim.
Trotz der Schleier hatte Reyna sich noch nie in ihrem Leben so nackt gefühlt, so bloß und wehrlos und ausgesetzt. Es war, als würde der Prinz sie mit seinen Blicken berühren, ihren ganzen Leib, überall. Erst jetzt wurde sie gewahr, dass jemand ein Lager auf dem Boden bereitet hatte, aus Polstern und Seidendecken. Plötzlich begann sie am ganzen Körper zu zittern. In ihrer Angst fiel ihr nur eine Ausflucht ein. Sollte sie sagen, dass sie blute? Aber nein, das durfte sie nicht. Der Prinz würde sie fortschicken, und José würde sterben.
»Zeig mir dein Gesicht«, sagte Selim mit rauher Stimme. Reyna löste den Schleier.
Selims Augen wurden groß und größer. »Wirklich«, flüsterte er. »Tausend kleine Sonnen.« Mit vor Erregung zitternder Hand trank er einen Schluck von seinem Wein. »Bist du wirklich bereit?«
»Ja«, sagte Reyna und versuchte, den Kloß in ihrem Hals hinunterzuwürgen.
Plötzlich begann Selims Gesicht zu zucken, und seine Hand zitterte so stark, dass der Wein überschwappte und er sein Glas nicht länger festhalten konnte. Als er es abstellte, kippte das Glas um, und der Wein ergoss sich über das Lager. »Habe ich ... etwas falsch gemacht?«, fragte Reyna. Selim schüttelte den Kopf. »Wie ich Yusuf Bey beneide«, sagte er so leise, dass sie ihn kaum verstand. »Unzählige Frauen waren mir zu Willen, so viele, dass ich ihre Zahl nicht weiß. Doch keine hat mich so sehr geliebt wie Ihr meinen Freund.« Tränen quollen aus seinen Augen und rannen an seinen weißlichen Wangen herunter. »Geht«, sagte er mit erstickter Stimme und wandte sein Gesicht von ihr ab. »Geht rasch, bevor ich es mir anders überlege.«
22
Mit welken Lippen, doch heißem Herzen, murmelte Cornelius Scheppering das Ave-Maria, als die Schweizergardisten beiseitetraten, um vor ihm die Flügeltür zu öffnen, die zu den privaten Gemächern des Heiligen Vaters führte. Während die Perlen des Rosenkranzes durch seine alten Finger glitten, dankte er der Jungfrau für die Veränderungen, die er an diesem Ort erblicken durfte. Was für eine Lasterhöhle war der Papstpalast gewesen, als er mit seinem Ordensmeister Gian Pietro Carafa zum ersten Mal den Vatikan besucht hatte, vor über einem Vierteljahrhundert, um den Judenknecht Paul III., der auf dem Papstthron saß, zur Einsetzung der Inquisition in Portugal zu bewegen. Grell geschminkte Huren, mit Gold und Edelsteinen behangen, hatten die Gänge und Flure bevölkert, und der scheinheilige Pontifex hatte sich gewunden wie eine Schlange. Doch nun, da Carafa als Paul IV. selbst den Heiligen Stuhl bestiegen hatte, um die Frevler aus dem Haus des Herrn zu vertreiben wie einst Jesus die Händler aus dem Haus seines Vaters, war hier ausgemistet worden, und ernste Heiligkeit war wieder eingekehrt in die Wohnung von Gottes wahrem Stellvertreter, die nunmehr nichts als Zucht und Glaubensstrenge atmete.
»Welches Glück, dich wiederzusehen«, sagte Carafa, als Cornelius Scheppering vor ihm niederkniete, um den Fischerring zu küssen. »Ich hoffe, der Anlass, der unseren treuesten und liebsten Soldaten zu uns führt, ist ebenso erfreulich wie sein Anblick.«
»Ihr wisst, Heiliger Vater, dass José Nasi uns ins Netz gegangen ist?«, erwiderte Cornelius Scheppering und nahm Platz auf dem hölzernen Lehnstuhl, den ein Diener für ihn herbeirückte. »Gewiss.« Carafa nickte, und seine Stirn umwölkte sich. »Ein heikler Fall, der viel Fingerspitzengefühl erfordert.« »Heikel? Fingerspitzengefühl?«, wiederholte Cornelius Scheppering. »Kein Fall könnte klarer sein! José Nasi ist getaufter Christ und der Juderei überführt. Ich selbst habe den Beweis erbracht. Wir dürfen ihn nicht
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