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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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sie sich und wandte sich noch einmal der Gemeinde zu. »Der Papst ist fast besiegt«, sagte sie. »Glaubt mir, meine Brüder, wir sind ganz nah am Ziel. Wenn wir jetzt aufgeben, offenbaren wir vor Gott und der Welt unsere Ohnmacht, und die Edomiter werden ihre Verbrechen an uns nur noch hemmungsloser fortsetzen. Sie werden uns ächten, verjagen, ermorden - bis in alle Ewigkeit! Und das Volk Israel wird nur noch ein Schatten sein! Deshalb widerspreche ich Rabbi Soncino, zum allerersten Mal, und bitte jeden von euch, für die Fortsetzung der Blockade zu stimmen! - Auge um Auge ...«
    Wieder verstummte sie mitten im Satz, doch diesmal blieb das Echo aus. Gracia biss sich auf die Lippen. Wo war der Funke geblieben, mit dem sie früher ihre Begeisterung auf ihre Glaubensbrüder übertragen hatte? Das heilige Feuer - ihre Botschaft? Sie wusste, sie hatte mit ihrer Rede niemanden überzeugt, nicht einmal sich selbst. Jeder Blick, jedes Gesicht bestätigte ihre Nieder läge. Wohin sie sah, schlug ihr Ablehnung entgegen, bestenfalls Gleichgültigkeit. Was kümmerte ihre Zuhörer das Volk der Juden und seine Zukunft, wenn es um das eigene Wohl und die eigenen Geschäfte ging?
    »Ihr habt leicht reden, Senhora«, erwiderte ein Portugiese. »Ihr wollt Ancona aufgeben, um in Pesaro Eure Schäfchen ins Trockene zu bringen. Herzog Guidobaldo wird Euch und Eure Firma schützen, egal, was passiert, genauso wie Herzog Ercole Euch in Ferrara unter seine Fittiche genommen hat, als er nach dem Erdbeben alle Juden aus Ferrara rauswerfen ließ - alle Juden außer Euch. Ich bin nur ein einfacher Schuster, aber ich hatte damals in Ferrara eine schöne Werkstatt. Ich habe alles verloren.« Beifälliges Raunen füllte die Synagoge. Gracia starrte den Mann ungläubig an. Mit schiefem Grinsen, doch ohne rot zu werden, erwiderte er ihren Blick. Hatte sie den Mistkerl überhaupt schon mal gesehen? Tausenden von Menschen hatte sie zur Flucht verholten, und das war nun der Dank. Sie warfen ihr vor, noch zu leben - das war ihre Schuld ... Plötzlich packte sie solche Wut, dass sie die Hände in ihre Röcke krallte, um nicht laut loszuschreien. Für dieses Gesindel hatte sie sich aufgeopfert? Warum hatte sie das Pack nicht einfach verrecken lassen? »Wenn Ihr glaubt, ich würde Ancona leichten Herzens aufgeben, irrt Ihr«, sagte sie mit bebender Stimme. »Durch die Blockade hat meine Firma in Ancona über hunderttausend Dukaten verloren. Doch was viel mehr wiegt«, fügte sie nach einer Pause hinzu, »mein Agent und Neffe, Dom José Nasi, ist dort in Haft. Als Gefangener der Inquisition ...«
    Das Grinsen im Gesicht des Schusters erlosch, noch bevor sie zu Ende geredet hatte, und mit rotem Kopf schaute er zu Boden. Auch die anderen wichen Gracias Blicken aus. Eine peinliche Stille entstand.
    »Ich möchte einen Kompromiss vorschlagen.« Rabbi Soncino war es, der das Schweigen brach. »Vielleicht hat die Senhora recht, vielleicht sind wir kurz vor dem Ziel. Überlassen wir also Gott die Entscheidung! Setzen wir die Blockade bis zum nächsten Pessachfest fort und sehen dann weiter. In der Zwischenzeit schicken wir einen Boten nach Italien, um Rat bei den dortigen Rabbinern einzuholen. - Wer ist dafür, den Vorschlag anzunehmen?« Er selbst hob als Erster die Hand.
    Viele folgten seinem Beispiel, zuerst die Vertreter der portugiesischen und spanischen Synagogen, dann die Rabbiner von Bursa und Edirne, schließlich auch Giacobbe Nasone und mit ihm die übrigen Italiener. Gracia sah es voller Verwirrung. War das ein Sieg oder eine Niederlage? Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie die Kontrolle verloren hatte. Alles war anders gekommen als geplant. Zögernd hob sie die Hand, um für den Vorschlag zu stimmen.
    Da ging die Tür auf. Sämtliche Köpfe drehten sich um. »Reyna?«, fragte Gracia verblüfft. »Was willst du denn hier?« Ihre Tochter war so außer Atem, dass sie kaum sprechen konnte. »Aragon ist in Konstantinopel!«, keuchte sie. »Aragon? Der Kommissar des Kaisers?«
    »Ein Bote aus dem Kontor hat es eben gemeldet! Er ist im Auftrag des Papstes da. Er lässt fragen, wann du ihn empfängst.«
     

24
     
    War es möglich, dass die Vorsehung Cornelius Scheppering zum Märtyrer bestimmt hatte? Auch der erste Blutzeuge Christi, der heilige Stephanus, war im Kampf gegen die Juden gefallen; sie hatten ihn zu Tode gesteinigt, bevor er ins Paradies einging. Das Martyrium hingegen, zu dem der dreifaltige Gott Cornelius Scheppering ausersehen

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