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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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hatte, um seinen Glauben zu prüfen, war das Reisen. Wie schlimm die Leiden des heiligen Stephanus im Steinhagel seiner Peiniger gewesen sein mochten - sie konnten kaum heftiger gewesen sein als die Schmerzen, die der Dominikaner nun in seinem vom Rumpeln und Rattern des Wagens geschundenen Leib verspürte, als er nach endlos langer Fahrt zurück aus Rom wieder in Ancona eintraf.
    Gestützt auf die Schulter eines Novizen namens Sylvester, kletterte er aus dem Wagen. Nein, er war zu alt für solche Expeditionen, zu alt und zu gebrechlich. Nach der Audienz beim Papst hatte er wochenlang darniedergelegen, ans Bett gefesselt von einem Fieber. Er hatte nicht mehr gewusst, ob er noch auf Erden weilte oder seine arme Seele im Fegefeuer schmorte, bevor er die Reise überhaupt hatte antreten können. Doch von Genesung konnte keine Rede sein. Der Zusammenbruch im Angesicht des Heiligen Vaters hatte ihn derart geschwächt, dass er unterwegs immer wieder für Tage hatte Rast machen müssen, um neue Kräfte zu sammeln. Voller Wehmut erinnerte er sich früherer Zeiten. Da war er nur so über Land geflogen, in drei Wochen von Antwerpen nach Rom, und ein Chorgebet im Kreis seiner Brüder hatte genügt, um ihn zu erquicken. Doch jetzt? Brandgeruch lag in der Luft. Wie den Odem Gottes sog Cornelius Scheppering ihn ein. Der süße, wohlvertraute Duft war Arznei für seine Seele. Das Werk der Gerechtigkeit, mit dem die Inquisition die Freveltaten der Mosessöhne sühnte, ging Gott zum Danke weiter. Nur der schlimmste Ketzer von allen, ihr Anführer und Verderber, der Neffe der Teufelin, José Nasi, wurde verschont ...
    In der römischen Ordensburg der Dominikaner, wo Cornelius Scheppering sein Krankenlager aufgeschlagen hatte, war ihm zu Ohren gekommen, dass der Papst seinen Widersacher, den Spanier Aragon, bereits nach Konstantinopel geschickt hatte, um dort mit der Jüdin einen Kompromiss auszuhandeln. Doch der Papst hatte seine Rechnung ohne den treuesten Diener des Glaubens gemacht. Was immer die Pläne waren, die da am Bosporus geschmiedet wurden - er, Cornelius Scheppering, würde sie vereiteln! So wahr Gott ihm helfe!
    Ungeachtet seiner Schwäche, ungeachtet auch der Schmerzen,
    suchte er darum sogleich den Ort von José Nasis Gefangenschaft auf. Die Verliese des Glaubensgerichts befanden sich unterhalb der Kathedrale von San Ciriaco, und um zu den Zellen zu gelangen, musste man die Krypta durchqueren. Cornelius Scheppering war kaum imstande, die Felsenstufen hinabzusteigen. Dem immer öfter auftretenden Versagen seiner Zunge sowie der Taubheit seiner Finger hatte sich in jüngster Zeit eine merkwürdige Beschwernis beim Gehen hinzugesellt, eine Schwächung der jedem Kind zu Gebote stehenden Fähigkeit, die eigenen Glieder zu steuern. Diese Irritation nahm bisweilen so aberwitzige Formen an, dass er nicht mehr wusste, wie er die Füße setzen sollte, und mehrere Anläufe benötigte, um auch nur einen Schritt zu tun. Allein der Glaube an seine Mission gab ihm die Kraft, die Behinderungen seines Leibes zu überwinden. Er war das Werkzeug Gottes, und er würde seine Aufgabe erfüllen, bevor Aragon aus Konstantinopel zurückkehrte oder ihn aus Rom Befehle ereilten, die seiner Mission im Wege standen. Ja, er war entschlossen, alle Anordnungen zu treffen, die zur Hinrichtung José Nasis vonnöten waren, gleichgültig, ob der Papst mit der Teufelin in Verhandlungen trat oder nicht. Wer weiß, vielleicht war ja der eine Augenblick, in dem ihm die Fratze Satans unter der Mitra des Heiligen Vaters entgegengegrinst hatte, kein Augenblick der Verwirrung gewesen, sondern ein Augenblick der Klarheit. »Wo wollt Ihr hin?«
    Ein Wachsoldat verwehrte Cornelius Scheppering den Eingang zum Verlies.
    »Weißt du nicht, wer ich bin? Ich bin der Inquisitor dieser Stadt. Führ mich sofort zu dem Gefangenen José Nasi. Ich will mich vergewissern, dass er sich in unserem Gewahrsam befindet. Das Urteil wird morgen vollstreckt.«
    »Ich weiß sehr wohl, wer Ihr seid, Ehrwürdiger Vater. Aber Oberst Aragon hat mir strikten Befehl gegeben, Euch unter keinen Umständen zu diesem Gefangenen zu lassen. Oberst Aragon sagt...« »Du wagst es, mir zu widersprechen?«, fiel Cornelius Scheppering ihm ins Wort. »Tritt beiseite, Kerl, auf der Stelle, oder ... oder aber ... oder ich ... ich-ich ... ich-ich ...« Die Erregung übermannte ihn, und sein Leib geriet in Aufruhr. Ein Knattern und Brausen jagte durch seine Eingeweide, um sich afterwärts in einem Höllenfurz

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