Die Gottessucherin
allen vier Teilen der Welt. Cornelius Scheppering war so erregt, dass er kaum einen Satz zu formen vermochte.
»Bi-bi-bi... bitte, Heiliger Vater«, presste er zwischen den Lippen hervor, »lasst ... lasst mich nach Konstantinopel fahren! Ich werde mit Süleyman reden! Und die Jüdin Gracia Mendes zum ... zum Teufel jagen!«
»Du willst mit Süleyman verhandeln?«, erwiderte Carafa. »Wie stellst du dir das vor? Dein Gesicht ist eine eiternde Schwäre! Du stammelst wie ein Besessener! Du stinkst nach Kot und Urin! Der Sultan wird dich in den Bosporus werfen! Wir brauchen einen Diplomaten, einen Mann, dem auch der Kaiser vertraut!« Cornelius Scheppering knirschte mit den Zähnen. Wie oft hatte er in dieses Gesicht geschaut, in diese schwarzen, von der Glut des Glaubens beseelten Augen ... Welche Wohltat, welche Labsal war der Anblick seiner Seele stets gewesen. Doch jetzt? Carafa war gekleidet wie eine Dirne; anstelle der Leinenkutte trug er einen Hermelin über den Schultern und an den Füßen rote Pantoffeln. Plötzlich packte Cornelius Scheppering ein Schwindel, als wäre die Erde, auf der er stand, keine Scheibe, sondern ein Ball, der um sich selbst kreiste, in rasender Geschwindigkeit. Mit beiden Händen griff er nach dem Kreuz auf seiner Brust - der einzige Halt, der ihm noch blieb. Was war das für ein Gaukelspiel der Sinne? Als hätten sich oben und unten, rechts und links verkehrt, erschien ihm auf einmal der Mann, der auf dem Stuhl Petri saß, als ein Popanz des Antichristen. Was niemand sah, was niemand ahnte, was niemand nur zu denken wagte - Cornelius Scheppering begriff es in diesem Augenblick. Vor ihm saß der Teufel, mit der Mitra des Heiligen Vaters auf dem Kopf, und starrte ihn aus glühenden Kohleaugen an. »Vade retro, satana!«, rief er und stürzte sich, das Kreuz voraus, auf den Höllenfürsten. »Bist du von Sinnen?«, jaulte der Satan auf. Cornelius Scheppering hatte den Thron noch nicht erreicht, da fielen ihm zwei Diener in die Arme. Ein Schlag gegen seine Schläfe, ein Blitz, als wäre ein Vorhang zerrissen - dann war es vorbei. Alle Kräfte, die er eben noch gespürt hatte, um den Teufel niederzuringen, wichen aus seinem Leib.
Im selben Moment wurde er gewahr, was er getan hatte. Er hatte den Papst töten wollen, den Stellvertreter Gottes auf Erden. Hilflos wie ein Kind brach er in Tränen aus und sank dem Pontifex zu Füßen. »Verzeiht«, schluchzte er und umklammerte die roten Pantoffeln seines Glaubensmeisters, »bitte, bitte, verzeiht...« »In deo te absolvo.« So behutsam, als habe er Angst, ihn zu verletzen, schob der Papst ihn mit seinem Fuß zurück. »Steh auf«, sagte er wie ein Vater, der bereit ist, seinen verlorenen Sohn wieder in sein Haus aufzunehmen. »Ich habe dir bereits vergeben. Doch bete - bete! Zur Buße lege ich dir hundert Ave-Maria auf.«
23
Gracia Mendes hatte etwas vollbracht, was in der Geschichte ihres Volkes seit Urväter Zeiten niemand mehr vollbracht hatte, kein Mann und keine Frau: Sie hatte ihr Volk in der Not geeint. Mit der Ächtung des Hafens von Ancona setzten sich die Juden endlich gegen ihre Peiniger zur Wehr, nicht mit Gebeten, Wehklagen oder Fasten, sondern mit Taten. Es war wie ein Wunder! Zahllose Firmen der Edomiter, die mit dem Orient Handel trieben, gingen in Ancona bankrott; umgekehrt stiegen die Preise für Waren aus dem Morgenland in schwindelnde Höhen, so dass die Zolleinnahmen des Papstes, jahrelang ein sprudelnder Quell, in nur wenigen Monaten versiegten wie ein Rinnsal in der Wüste. Doch noch ehe der Winter kam, taten sich Risse in der Front der jüdischen Gegenwehr auf. Wie wucherndes Unkraut, das auch die stärkste Mauer zum Einsturz bringen kann, wenn es sich in die Fugen frisst, breiteten sich Zwist und Uneinigkeit im Haus des Volkes Israel aus. Während in Ancona immer mehr Marranen auf dem Scheiterhaufen der Inquisition brannten, betrieben viele ihrer nicht getauften Glaubensbrüder unverdrossen ihre Geschäfte weiter. Wenn der Seehafen noch länger geächtet werde, schrieb ihr geistlicher Führer Rabbi Moses Bassola an alle Gemeinden, die sich der Blockade angeschlossen hatten, dann würden auch die jüdischen Kaufleute von Ancona zugrunde gerichtet.
Als hätten sie nur auf ein solches Signal gewartet, erlaubten die Rabbiner von Bursa und Edirne daraufhin den Mitgliedern ihrer Synagogen, Schiffe nach Ancona zu schicken, um den Handel wiederaufzunehmen. Bald wurden auch in Konstantinopel Stimmen laut, die gegen
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