Die Gottessucherin
er seine Hand in den Schlitz steckte, trat er noch einen Schritt näher heran. »Ja, genau so hat sie es auch gemacht. Sie hat meinen Schwanz in ihr süßes Patschehändchen genommen, und glaubt mir, es hat ihr solche Lust bereitet, dass sie laut gestöhnt hat. So ein kleines geiles Luder.«
Während sein Hosenlatz sich wölbte, schloss er die Augen, um die Erinnerung zu genießen. Dieser eine Augenblick genügte.
Ohne zu wissen, was er tat, nahm José den Käfig, hob ihn in die Höhe und zertrümmerte ihn auf Aragons Schädel. Einen Wimpernschlag lang sah der Spanier ihn mit offenen Augen an, dann verlor sich sein Blick im Nirgendwo, und taumelnd sank er zu Boden. Da geschah das Wunder.
Aus dem zerbrochenen Käfig flatterte die Taube auf. Aufgeregt mit den Flügeln schlagend, flog sie einmal gegen die Felsendecke, einmal gegen die Wand - dann hatte sie das Zellenfenster entdeckt und entkam durch das Gitter ins Freie.
29
»Lieber will ich mit José sterben als länger mit Dir unter einem Dach leben ...«
Gracia zerknüllte Reynas Brief und warf ihn in den Kamin. Wieder und wieder hatte sie die eine Zeile gelesen, mit der ihre Tochter sie verraten hatte, bevor sie nach Italien aufgebrochen war, zusammen mit Amatus Lusitanus. Wie konnte Reyna es wagen, sie zu verlassen? Der Verrat traf sie mit solcher Wucht, als hätte sie vom Tod ihrer Tochter erfahren.
»Ihr müsst den Sultan um Hilfe bitten«, sagte Rabbi Soncino. »Süleyman wird dem Papst mit Krieg drohen - Dom José ist einer der bedeutendsten Untertanen des Osmanischen Reiches.« »Das weiß der Papst auch so«, erwiderte Gracia. »Es wäre ein Fehler, den Sultan in die Sache hineinzuziehen. Wenn wir das tun, setzen wir Tiberias aufs Spiel.«
»Ihr redet von Tiberias, obwohl Eure Tochter Euch verlassen hat?«
Gracia gab keine Antwort. Gleich nachdem sie Reynas Brief gelesen hatte, schickte sie nach Rabbi Soncino, um sich mit ihm zu beraten. Inzwischen war es längst dunkel, doch sie konnten keine Lösung finden. Gracia wusste nicht, ob sie schon einmal so wütend und gleichzeitig so erschöpft und traurig gewesen war. »Wenn Ihr den Sultan nicht um Hilfe bittet«, sagte der Rabbiner, »bleibt nur eine Möglichkeit.«
»Welche?«, fragte Gracia mit einem Anflug von Hoffnung. »Soll ich nach Ancona fahren ? Die Gloria ist gestern aus Marseille eingetroffen. Ich habe Anweisung gegeben, sie sofort klarzumachen.«
Ihr Freund schüttelte den Kopf. »Reyna ist mit einer Karavelle geflohen«, sagte er. »Die Gloria ist viel zu langsam, um sie einzuholen. Und sobald Reyna in Italien ist, ist es zu spät. Ihr dürft in Ancona nicht an Land. Wenn Ihr Cornelius Scheppering in die Hände fallt, wird er Euch auf der Stelle umbringen. Nein«, sagte er, als sie etwas einwenden wollte, »schickt einen Kurier zum Papst. Geht auf sein Angebot ein. Ihr müsst die Blockade beenden, damit Dom José freikommt. Sofort! Das ist die einzige Lösung.« »Ihr wollt, dass ich aufgebe?«, fragte Gracia. »So kurz vor dem Ziel? Unmöglich! Unsere Glaubensbrüder werden sagen, dass ich für das Leben meines Neffen die Interessen unseres Volkes opfere.«
»Niemand wird das behaupten«, erwiderte Rabbi Soncino. »Wir werden den Kampf sowieso verlieren. Der Papst hat bereits seine Truppen gegen Pesaro mobilisiert, Herzog Guidobaldo wird nicht mehr lange Widerstand leisten. Angeblich hat er sich schon bereit erklärt, alle Juden aus Pesaro zu verjagen. Ohne seinen Hafen stehen wir die Blockade nicht durch.« »Wollt Ihr damit sagen, dass alles umsonst war?« Diesmal war es Rabbi Soncino, der schwieg. Gracia wandte sich ab und trat ans Fenster.
»Ihr habt mich einmal die neue Esther genannt«, sagte sie. »Wisst Ihr eigentlich, welche Bürde Ihr mir damit auferlegt habt?«
»Ich weiß, wie sehr Ihr leidet«, antwortete der Rabbiner leise. »Ihr habt so viele Menschen verloren. Dom Francisco, Dom Diogo, Dona Brianda. Und jetzt vielleicht Reyna. Ihr müsst alles tun, um Eure Tochter zu behalten. Sie ist der einzige Mensch, der Euch geblieben ist.«
Während im Kamin das Feuer knackte, schaute Gracia in die Nacht hinaus. Wo würde Reyna jetzt sein? Draußen war es so dunkel, dass man die Schiffe kaum noch erkennen konnte. Nur hin und wieder brach die Wolkendecke auf, und der Halbmond warf für ein paar Augenblicke sein fahles Licht auf die schwarzen Fluten des Bosporus. Gracia fühlte sich in ihrem Innern so kalt und leer, dass sie nicht einmal mehr Tränen hatte. Nur eine Frage
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