Die Gottessucherin
nach Ancona. Ich habe einen Freund in der Stadt, Fernando Moro. Vielleicht kann er uns helfen.«
Für einen Moment war sie sprachlos. »Das wollt Ihr wirklich tun?«, rief sie dann. »Meine Mutter wird Euch dafür hassen!« »Nur die Frau, die heute Gracia Mendes heißt«, sagte Amatus Lusitanus. »Die Frau, die Eure Mutter in Wahrheit ist, wird mich verstehen. Eines Tages zumindest«, fügte er mit einem Seufzer hinzu.
28
Plop, plop, plop ... Die letzten Strahlen der Abendsonne schienen durch das Gitterfinster und tauchten Joses Zelle in ein unwirklich goldenes Licht.
So regelmäßig, als würde ein Uhrwerk den Takt bestimmen, lösten sich die Wassertropfen von der ewig nassen Felsendecke, um in der Pfütze am Boden aufzuschlagen.
Inzwischen hatte José sich so sehr an das monotone Geräusch gewöhnt, dass er es kaum noch bemerkte. Statt die fallenden Tropfen zu zählen, nahm er das Schreibzeug, mit dem sein Wärter ihn versorgt hatte, und hockte sich auf den glatten, eckigen Felsbrocken, der wie ein Würfel aus dem gestampften Lehmboden ragte. Er wollte Reyna einen Brief schreiben. Um sich von ihr zu verabschieden.
Du brauchst nicht traurig zu sein, mein Engel, ich bin es auch nicht. Meinen Körper haben sie zwar in Ketten gelegt, aber in meinen Gedanken bin ich frei und kann mein Gefängnis verlassen, wann immer ich will. Wenn ich es nicht mehr aushalte, stelle ich mir einfach Dein Gesicht vor und zähle Deine Sommersprossen. Es sind genau siebenhundertvierundachtzig - zähl ruhig nach. Ich küsse jede einzelne, wieder und wieder. Dann fühle ich mich ganz leicht und bin glücklich. Ich liebe Dich, Reyna, und ich bin bei Dir, wo immer Du auch bist ...
Müde rieb José sich die Augen. Was hatte es für einen Sinn, solche Briefe zu schreiben? Seine Worte würden ja doch nie zu Reyna gelangen, um sie zu trösten. Mit zufriedenem Gurren pickte die Taube die Reste von dem verschimmelten Brot auf, das José ihr in den Käfig geworfen hatte. Die Vorstellung, dass nur jemand den verfluchten Käfig öffnen müsste, damit der blöde Vogel seinen Brief zu Reyna bringen würde, machte ihn fast wahnsinnig. Ein Schlüssel rasselte im Schloss. José zuckte zusammen. War es so weit? Als die Tür aufging und Aragon in die Zelle trat, hatte er plötzlich solche Angst, dass er kaum seine Blase unter Kontrolle halten konnte. Rasch erhob er sich, um nicht zu dem Spanier aufschauen zu müssen. Lieber würde er sich vierteilen lassen, als Aragon Gelegenheit zu geben, auf ihn herabzuschauen und seine Überlegenheit zu genießen.
»Was wollt Ihr von mir?«, fragte er schroff. »Ich habe Euch nicht gerufen.«
»Ich komme gerade aus Konstantinopel«, erwiderte Aragon. »Von Dona Gracia. Ich habe mit ihr verhandelt - Euretwegen. Da betrachte ich es als meine Pflicht, Euch davon zu berichten, bevor ich weiter nach Rom reise, wo der Papst schon begierig auf meine Nachrichten wartet. Aber wenn Ihr nicht interessiert seid«, fügte er mit einem Schulterzucken hinzu, »will ich Euch nicht weiter belästigen.«
»Ihr habt mit Dona Gracia gesprochen?«, fragte José, beinahe gegen seinen Willen.
»Ich habe ihr angeboten, Euch freizulassen, wenn sie dafür die Blockade unseres Hafens aufgibt.« Aragon zog ein Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. »Glaubt mir, ich habe getan, was ich konnte. Aber an Eurer Herrin ist ein Dominikaner verlorengegangen, so unbeirrbar ist sie in ihrem Glauben.« José musste sich beherrschen, um seine Enttäuschung zu verbergen. »Habt Ihr eine Botschaft für mich mitgebracht?« »Ihr meint, von Eurer Verlobten?«, fragte Aragon. »Wie gerne hätte ich Euch diese Freude gemacht - doch leider habe ich Fräulein Reyna gar nicht zu Gesicht bekommen. Ich habe nur mit ihrer Mutter gesprochen. Um ehrlich zu sein«, fügte er mit falschem Bedauern hinzu, »ich hatte nicht den günstigsten Eindruck von Dona Gracia. Sie scheint an Eurem Fortleben so wenig interessiert wie unser wackerer Bruder Cornelius.« José fühlte sich wie eine Maus, mit der eine Katze spielt, bevor sie ihrem Opfer den Garaus macht, aus reiner Lust am Quälen. »Wenn Ihr mich töten wollt, habe ich nur eine Bitte«, sagte er. »Zögert die Hinrichtung nicht länger hinaus als nötig.« »Wie könnt Ihr nur so schlecht von mir denken?«, erwiderte Aragon. »Auch wenn wir nicht immer Freunde waren, habe ich mich doch redlich bemüht, meine Hand über Euch zu halten, trotz allem, was uns trennt. Aber jetzt, fürchte ich, kann ich
Weitere Kostenlose Bücher