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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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sie. »Ihr dürft mir Eure Gefolgschaft nicht verweigern! Wenn Ihr das tut, versündigt Ihr Euch an unserem Volk.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht länger vor meinem Gewissen verantworten, Euch zu folgen. Nicht vor meinem Gewissen und erst recht nicht vor Gott.«
    »Dann lasst Ihr mich also wirklich im Stich?« Gracia hatte plötzlich das Gefühl, als wäre es um sie herum so leer und kalt wie in ihrem Innern. Doch sie war nicht bereit, auch noch diesen Verrat hinzunehmen. »Ich warne Euch, Rabbi Soncino! Auch meine Freundschaft hat Grenzen. Und erst recht meine Geduld.« »Was wollt Ihr damit sagen?«
    Sie kniff die Augen zusammen, um ihn zu fixieren. »Ich habe die neue Synagoge bauen lassen. Ich speise täglich hundert Menschen an meinem Tisch. Ich habe Häuser für die Armen unserer Gemeinde eingerichtet. Alles mit meinem Geld. Aber glaubt ja nicht, dass ...«
    »Dass was?« Rabbi Soncino starrte sie mit offenem Mund an. »Wollt Ihr mich erpressen? Mit der Not unserer Brüder?« Abermals schüttelte er den Kopf. »Der Herr stehe Euch bei!« »Was bildet Ihr Euch ein?«, schrie Gracia. »Glaubt Ihr, Ihr könnt über mich richten?«
    Sie wollte, dass er den Kopf senkte, wollte ihn mit ihrem Blick dazu zwingen. Doch er hielt ihrem Blick stand.
    »Ja, es war ein Fehler, Euch diesen Weg zu weisen«, sagte er.
    »Gott möge mir verzeihen! Ihr habt über Euren Glaubenseifer Euren Glauben verloren. Und vielleicht sogar Gott selbst.«
    »Ich verbiete Euch, weiter so mit mir zu reden.«
    »Wollt Ihr mir befehlen zu schweigen? So wie Ihr Eurem Herzen zu schweigen befohlen habt?«
    »Was zum Teufel geht Euch mein Herz an?«
    »Seit Monaten habe ich Euch nicht mehr beten sehen.«
    »Ich halte alle Gebete ein! Gott ist mein Zeuge!«
    »Vielleicht. Aber Eure Gebete sind nur noch leere Worte, kein Gottesdienst des Herzens, wie Gott es von uns verlangt. Weil Ihr nicht mehr an ihn glaubt. Ihr glaubt nur noch an Euch selbst. Als wäret Ihr selbst Gott, zu dem Ihr betet.«
    »Schweigt endlich still!«
    »Warum? Weil Ihr die Wahrheit nicht ertragt?« »Ihr sollt schweigen, habe ich gesagt! Oder ...« »Oder was?«
    Gracia verstummte. Plötzlich wurden ihre Knie ganz weich, und eine Schwäche überkam sie wie eine warme, sanfte Woge.
    Warum hörte sie nicht einfach auf zu kämpfen? Vielleicht war Rabbi Soncino ja im Recht? Vielleicht war sie wirklich gescheitert?
    Ihr Blick fiel auf den zusammengeknüllten Brief im Kamin. »Lieber will ich mit José sterben als länger mit Dir unter einem Dach leben ...« Die Flammen hatten das Papier noch nicht erreicht. Bevor sie wusste, was sie tat, stieß Gracia den Brief mit der Schuhspitze ins Feuer.
    Nein, sie würde nicht aufgeben! Niemals! Gott hatte sie auserwählt!
    »Bitte verlasst mein Haus.«
    Sie kehrte dem Rabbiner den Rücken zu und trat an die Truhe mit der Waschschüssel. Gott sei Dank war sie bis zum Rand mit frischem Wasser gefüllt.
    »Ihr sollt mein Haus verlassen«, wiederholte sie, während sie ihre Hände in die Schüssel tauchte.
    »Glaubt Ihr, dass Ihr Euch mit Wasser reinwaschen könnt?« »Raus - habe ich gesagt!«
    Einen Augenblick zögerte der Rabbiner noch, dann endlich gehorchte er. Aus den Augenwinkeln sah Gracia, wie er zur Tür ging. Doch er hatte den Raum noch nicht verlassen, da drehte er sich noch einmal zu ihr herum.
    »Denn deinetwillen erleide ich Schmach«, sagte er, »und Schande bedeckt mein Gesicht. - Kennt Ihr diese Worte, Senhora ?« Natürlich kannte Gracia sie, der Vers war aus dem neunundsechzigsten Psalm. Sie hatte ihn oft genug aufgesagt, schließlich stammte er von König David, ihrem eigenen Urahn. Doch statt sich beirren zu lassen, scheuerte sie weiter stumm ihre Hände, und als hätte sie die Ohren mit Wachs versiegelt, prallten die Worte an ihr ab, mit denen Rabbi Soncino den Vers zu Ende zitierte.
    »Entfremdet bin ich den eigenen Brüdern, den Söhnen meiner Mutter wurde ich fremd. Denn der Eifer für dein Haus hat mich verzehrt.«
    Wieder tauchte Gracia die Bürste ins Wasser. Es tat so gut, sich die Hände zu waschen, auch wenn die Haut wie Feuer brannte und bereits blutete.
    Eine Weile stand Rabbi Soncino noch da, stumm wie ein Fisch, und schaute ihr zu.
    Ob er sie wohl um ihren Glauben beneidete?
    Ohne einen Gruß machte er kehrt und verschwand hinaus auf den Flur.
    Knarrend schloss sich hinter ihm die Tür. Gracia hörte es wie aus weiter Ferne.
     

30
     
    Brandgeruch hing in der Luft, als Reyna und Amatus Lusitanus in

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