Die Gottessucherin
Ancona von Bord der dementia gingen, einer Karavelle der Äffaitati-Brüder, die sie in nur zwei Wochen von Konstantinopel an die Adriatische Küste gebracht hatte. Es war eine ruhige Reise gewesen, ohne Stürme oder Überfälle, und obwohl sie an Bord, wo sie sich als Vater und Tochter ausgewiesen hatten, die als brave Christen nach Rom pilgern wollten, alle Annehmlichkeiten genossen hatten, über die das Schiff verfügte, war Reyna froh, endlich wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Sie hatte während der ganzen Fahrt unter Seekrankheit gelitten und sich fast jedes Mal übergeben müssen, wenn sie in der Kajüte des Kapitäns eine Mahlzeit zu sich genommen hatte.
Sie hatte den Landungssteg noch nicht verlassen, da erblickte sie ein Dutzend aneinandergeketteter Männer. Das mussten Marranen sein, die ihrem Glauben abgeschworen hatten. Mit kahlrasierten Köpfen, an Armen und Füßen in Eisen geschmiedet, schleppten sie sich in ihren Bußgewändern über die Mole, angetrieben von Soldaten, die sie mit Peitschenhieben in die Richtung einer Galeere dirigierten.
»Lasst Euch nichts anmerken«, presste Amatus Lusitanus zwischen den Lippen hervor. »Vergesst nicht - wir sind Christen!« Reyna versuchte zu lächeln, doch als sie in die Gasse abbogen, die von der Mole zur Stadt führte, erstarrte ihr Lächeln zur Grimasse. Vor dem Eingang einer Apotheke hatte sich eine johlende Menge versammelt. Häscher der Inquisition zerrten den Besitzer ins Freie und gossen einen Kübel Jauche über ihn aus. Der Pöbel klatschte Beifall und verlangte seine Geißelung. Während der Apotheker das Hemd auszog, gingen plötzlich alle Köpfe in die Höhe. Auf dem Balkon erschien eine junge Frau, mit aufgelöstem Haar und zerrissener Bluse, auf der ein gelber Fleck prangte, das Gesicht voller Angst wie ein gehetztes Tier. »Nein!«, schrie der Apotheker so laut, dass für einen Augenblick alles verstummte.
Sein Schrei war noch nicht verhallt, da tauchte im Rücken der Frau ein Soldat auf. An den Haaren riss er sie zu sich herum und presste seine Lippen auf ihren Mund. Mit Händen und Füßen setzte sie sich zur Wehr. Plötzlich heulte der Soldat auf und ließ die Frau los. Während er sich taumelnd zwischen die Beine fasste, stieß sie ihn mit beiden Händen von sich und machte kehrt, um zurück ins Haus zu fliehen. Aber ein zweiter Soldat versperrte ihr den Weg. Mit einem Grinsen leckte er sich die Lippen. Das blanke Entsetzen im Gesicht, starrte die Frau ihn an. Ein kurzes Zögern - dann schwang sie sich über das Geländer des Balkons und stürzte sich in die Tiefe.
Mit dumpfem Knall schlug sie auf dem Pflaster auf, nur wenige Schritte von ihrem Mann entfernt. Der Pöbel brach in Jubel aus, wie nach einem Kunststück im Zirkus, während die Frau mit verdrehten Gliedern und zuckendem Leib auf dem Boden lag. »Wir müssen ihr helfen«, sagte Reyna. »Sie lebt noch! Los! Worauf wartet Ihr?«
»Seid Ihr von Sinnen! Hier entlang!«
Reyna rührte sich nicht vom Fleck. Amatus packte sie und zog sie mit sich fort. Wie betäubt folgte sie ihm. Amatus kannte sich aus in der Stadt - als er dem Ruf des Sultans nach Konstantinopel gefolgt war, hatte er seine Reise in Ancona unterbrochen, um hier für einige Zeit als Arzt zu praktizieren. Mit eiligen Schritten führte er Reyna in eine breite Gasse, wo sich ein Geschäft an das andere reihte, unterbrochen nur von ein paar Synagogen. In der Ferne, am Ende der Straße, öffnete sich vor einer Kathedrale ein Platz, auf dem ein Scheiterhaufen brannte. Haushoch schlugen die Flammen in den Himmel empor.
Vor einer schwarzen, verriegelten Pforte blieb Amatus Lusitanus stehen. »Hier ist es«, sagte er und klopfte an das Tor. Verwundert schaute Reyna an der Mauer hoch und sah einen Glockenturm. »Ein Kloster?«, fragte sie. »Ich dachte, wir wollten Euren Freund ...«
»Fernando Moro ist Jesuit«, erwiderte Amatus Lusitanus, und mit gesenkter Stimme fügte er hinzu: »Er ist Jude wie wir. Aber man muss mit den Wölfen heulen. Die Mönchskutte ist die beste Tarnung. Die Jesuiten haben einen eigenen Kopf, sie sind ein junger Orden. Sie können die fanatischen Dominikaner nicht ausstehen. Darum nehmen sie's mit unsereinem nicht so genau.« Quietschend ging das Tor auf, und ein alter Kustos, dessen Gesicht nur aus braunen Runzeln bestand, erschien in der Öffnung und musterte sie von Kopf bis Fuß.
»Was wünscht Ihr?«, nuschelte er mit seinem zahnlosen Mund. »Wir möchten Bruder Fernando
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