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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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verbrannt.«
    »Wir haben davon gehört und bedauern die Vorfälle sehr. Sie sind ein Verbrechen an Eurem Volk.«
    »Nicht nur an meinem Volk - auch am Herrscher des Osmanischen Reiches. Unter den Verfolgungen in Ancona leiden nicht nur meine Glaubensbrüder, sondern auch die Einnahmen des Sultans. Der ganze Handel liegt darnieder.« »Was kümmert es den Löwen, wenn sich ein Floh in sein Fell setzt?«, fragte Roxelane. »Der Sultan ist auf die Einkünfte aus dem Handel mit Ancona nicht angewiesen.« Gracia zögerte einen Moment. Außer der Favoritin und ihr sowie dem Dragoman war nur ein Mohr zu ihrer Bedienung im Raum. Doch über Roxelanes Platz, hoch oben in der gekachelten Wand, war ein Gitter eingelassen, hinter dem Gracia einen Schatten zu erkennen glaubte. War es möglich, dass jemand, der unerkannt bleiben wollte, die Unterredung belauschte? Der Pavillon grenzte unmittelbar an den Harem.
    »Die Tötung von Süleymans jüdischen Untertanen«, sagte sie, halb an die Favoritin, halb an den Schatten hinter dem Gitter gerichtet, »ist eine Beleidigung des mächtigsten Herrschers der Welt. Der Sultan darf sich eine solche Demütigung nicht gefallen lassen.«
    »Muss der Löwe jedes Mal brüllen, wenn der Floh ihn beißt?«, entgegnete Roxelane. »Nein. So leicht der Sultan den Papst auch in die Schranken weisen könnte - Seine Ewige Majestät hat wenig Neigung, für fremde Belange einen Krieg heraufzubeschwören.« »Süleyman hat meinen Glaubensbrüdern Schutz versprochen, als er mich einlud, mein Handelshaus in der Hauptstadt seines Reiches anzusiedeln. Ich habe seinem Wort vertraut.« Gracia machte eine Pause. Dann fuhr sie mit fester Stimme fort: »Wenn Süleyman meinen Glaubensbrüdern diesen Schutz verweigert, muss ich in Erwägung ziehen, mich unter den Schutz eines anderen Herrschers zu begeben und mit der Firma Mendes auszuwandern.«
    Roxelane runzelte die Stirn. »Wollt Ihr dem Sultan drohen?« Obwohl es nach dem Zeremoniell verboten war, erwiderte Gracia den Blick der Favoritin. Während die zwei Frauen sich anschauten, ohne ein Wort zu sagen, raschelte irgendwo Seide. Gracia blickte in die Höhe.
    Hinter dem Gitter ertönte eine leise Männerstimme. Gracia erkannte sie sofort und warf sich zu Boden.
    »Ewige Majestät will wissen, von welchen Untertanen Ihr redet«, übersetzte der Dragoman. »Nennt die Namen der Menschen, deren Schicksal Euch so sehr am Herzen liegt, dass Ihr dafür Euer Leben riskiert.«
    Nur zögernd richtete Gracia sich wieder auf. Süleyman forderte von ihr jene Erklärung, die sie unter allen Umständen vermeiden wollte. Wenn sie zugab, wem ihre Bitte galt, würde sie alles verlieren. Doch durfte sie es wagen, die Auskunft zu verweigern? Schneller, als ihr Verstand entscheiden konnte, öffnete sich ihr Mund.
    »Ich rede von meiner Tochter«, sagte sie. »Und von Dom José, meinem Schwiegersohn.«
    Die letzten beiden Worte waren ohne ihren Willen über ihre Lippen gekommen, und sie hatte sie kaum ausgesprochen, da wurde sie sich ihres Fehlers bewusst. War sie wahnsinnig geworden? So heftig, dass sie blutete, biss sie sich auf die Lippe. »Ihr nennt Yusuf Bey Euren Schwiegersohn?«, fragte der Sultan. »Damit kündigt Ihr unseren Vertrag. Ihr hattet Eure Tochter dem Sohn meines Großwesirs versprochen.« »Ich habe alles getan, um meine Tochter zur Vernunft zu bringen«, sagte Gracia. »Aber - sie ... sie liebt Dom Jose.«
    »Vertrag ist Vertrag!« Die Stimme des Sultans wurde lauter. »Habt Ihr das Beispiel Eures Stammesvaters vergessen? Abraham war bereit, das Leben seines Sohnes hinzugeben, um dem Gott Eures Volkes zu gehorchen. Und Ihr seid nicht einmal bereit, für Euer Volk die Liebe Eurer Tochter zu opfern? Obwohl die Juden Euch wie eine Königin verehren?« Süß schmeckte das Blut auf Gracias Lippen. Was hatte sie getan? Hatte sie die Prüfung, die Gott ihr auferlegt hatte, nur angenommen, um nun so kläglich zu scheitern? Sie wusste, keines Menschen Leben oder Glück durfte über das Schicksal des Volkes Israel entscheiden - nicht mal das Glück oder das Leben ihrer Tochter. Während sie auf den Boden starrte und überlegte, was sie vorbringen könnte, um ihren Fehler wiedergutzumachen, hörte sie, wie Roxelane in osmanischer Sprache auf den Herrscher einredete.
    Obwohl sie kein einziges Wort verstand, hielt Gracia den Atem an. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie die Favoritin. Sprach Roxelane für sie oder gegen sie?
    So leise, dass die Stimmen kaum zu unterscheiden

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