Die Gottessucherin
auszuhändigen, was sie noch am Leibe trugen: Geld und Gold, Perlen und Ringe, Kämme und Gürtel.
»Die Spanier haben die Männer dieser Frauen umgebracht, alles haben sie verloren, und Francisco Mendes raubt ihnen das wenige, das ihnen außer dem Leben geblieben ist, als Bedingung, dass er ihnen bei der Flucht hilft. Ist das überhaupt ein Mensch? Er bereichert sich am Unglück der Verfolgten Israels, am Unglück seiner Glaubensschwestern!«
Als Gracia zu Ende gesprochen hatte, trat eine lange Stille ein, in der nur ihre verebbenden Schluchzer zu hören waren. Noch immer barg sie das Gesicht in den Händen.
»Und darum wollt Ihr Euch von Eurem Mann trennen?«, fragte Rabbi Soncino schließlich.
»Ja, das will ich«, erwiderte Gracia. »Fünf lange Jahre habe ich die Ehe ertragen, und immer wieder habe ich versucht, etwas Gutes an dem Ungeheuer zu entdecken, aus Angst, ihn zu verkennen. Aber jetzt... jetzt geht es nicht mehr. Ich habe hinter seine Maske geschaut und sein wahres Gesicht gesehen ...« Obwohl es nach dem Gesetz verboten war, dass ein Mann eine fremde Frau berührte, weil sie im Zustand der Unreinheit sein konnte, hob der Rabbiner Gracias Kinn, so dass sie ihn anblicken musste. Nur widerwillig ließ sie es zu. »Habt Ihr mit Eurem Mann gesprochen?«, fragte Soncino. »Nein, wozu? Er würde ja doch nur lügen und alles leugnen.« »Woher wollt Ihr das wissen? Die Wahrheit ist eine Gauklerin. Oft kleidet sie sich in fremde Gewänder, und blind, wie wir sind, nehmen wir das Gewand für die Wahrheit selbst.« »Ich bin nicht blind, Rabbi, noch bin ich taub. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, was er getan, und mit eigenen Ohren gehört, was dieser Mensch zu den Frauen gesagt hat: Gebt mir alles, was ihr besitzt, den letzten Pfennig will ich von euch haben ...« Mit verzerrtem Gesicht, als würden die Worte ihn schmerzen, erhob sich der Rabbiner von seinem Stuhl, und schweigend ging er eine Weile in der Stube auf und ab.
Dann blieb er stehen und sagte: »Ich muss Euch um ein wenig Geduld bitten. Aus eigener Macht bin ich nicht befugt, Euch eine Erklärung zu geben. Aber wenn Ihr morgen früh wiederkommt, kann ich Euch vielleicht helfen.«
Er öffnete die Tür, um sie zu verabschieden. Gracia schöpfte Hoffnung.
»Werdet Ihr das Rabbinatsgericht einberufen?«
»Kommt gleich nach dem Morgengebet«, wiederholte er. »Dann werden wir sehen.«
19
Die Nacht verbrachte Gracia im Haus ihres Vaters, in ihrem alten Zimmer, zusammen mit ihrer Tochter. Ruhig und gleichmäßig ging Reynas Atem an ihrer Seite. Nur sie selbst fand keinen Schlaf. Viele Stunden hatte sie mit ihrem Vater gestritten, weil er sie drängte, zu ihrem Mann zurückzukehren, und bis spät in die Nacht hatte es Botengänge gegeben, zwischen dem Haus ihres Vaters in Santa Justa und dem Haus ihres Mannes in der Rua Nova dos Mercadores. Auch Brianda hatte Partei für Francisco ergriffen, und Reyna hatte immer wieder nach ihrem Vater gefragt, verstört und außerstande zu begreifen, was ihre Eltern umtrieb. Doch Gracia hatte sich nicht beirren lassen. Lieber würde sie im Freien schlafen, als die Nacht unter einem Dach mit diesem Ungeheuer zu verbringen, in dessen Brust kein menschliches Herz zu schlagen schien.
Was hatte Gott mit ihr vor? Warum hatte er ihr diesen Mann geschickt? Leise klirrte das Geschirr im Haus, wie eine feine, zerbrechliche Melodie klang es herauf, und die Wände zitterten. Ein kleines, kaum spürbares Beben erschütterte die Erde, wie es immer wieder in der Stadt Lissabon geschah. Nur einige wenige Menschen trieb es hinaus auf die Straße, die Furchtsamsten der Furchtsamen, doch auch ihre Stimmen beruhigten sich schon bald, um nach und nach ganz zu verstummen. Nicht einen Moment kam es Gracia in den Sinn, ihr Bett deshalb zu verlassen. Nein, nicht mit Angst erfüllte sie das harmlose Beben, vielmehr mit freudiger Zuversicht. War es vielleicht ein Zeichen, das Gott ihr sandte? Ein Zeichen dafür, dass die Ketten, die sie an Francisco Mendes banden, in wenigen Stunden von ihr abfallen würden? Wie befreit wachte Gracia am nächsten Morgen auf, mit einem Gefühl, als würde sie ein neues Buch aufschlagen. Die Seele, die ihr während des Schlafes genommen war, kehrte erfrischt und erneuert in sie zurück. Alle Möglichkeiten standen ihr offen, selbst die Vögel draußen vor dem Fenster schienen ein neues Lied zu singen.
Gleich nach dem Morgengebet verließ sie das Haus, ohne ihre Tochter zu wecken oder sich von
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