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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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zerlumpten Kleidern, war darin versammelt, zusammen mit Francisco und Tristan da Costa. Wie scheue, furchtsame Tiere wirkten die Frauen, sie wagten es kaum, die Köpfe zu heben, während sie leise Worte mit den Männern wechselten.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Gracia. »Ich habe sie noch nie gesehen.« Ohne die Tür zu öffnen, trat sie näher heran. Doch als sie die ersten Worte hörte und begriff, was sie sah, wünschte sie sich, sie wäre ihrer Tochter nie gefolgt.
    Denn was sich hier vor ihren Augen abspielte, war das widerwärtigste, abstoßendste und erbärmlichste Schauspiel, das sie je gesehen hatte.
     

18
     
    »Ihr kommt in mein Haus?«, fragte Rabbi Soncino verwundert. »So spät am Abend? Was hat das zu bedeuten?« »Ich will den Scheidebrief!«, erwiderte Gracia. »Was wollt Ihr?«
    »Den Scheidebrief. Francisco Mendes ist ein Ungeheuer. Ich kann mit ihm nicht länger unter einem Dach leben.«
    Die Studierstube des Rabbiners war eine einzige Bücherhöhle. An allen vier Wänden stapelten sich die Folianten bis unter die Decke: lateinische, griechische, spanische - sogar hebräische, obwohl den Juden Bücher in ihrer eigenen Sprache, abgesehen von medizinischen Werken, verboten waren. Gracia war gleich nach der furchtbaren Entdeckung hierher geflohen, denn der Rabbiner war die einzige Autorität, an die sie sich in ihrer Not wenden konnte. Ihre Tochter Reyna hatte sie in der Obhut ihrer Schwester Brianda zurückgelassen.
    Soncino schüttelte den Kopf. »Nur der Mann kann der Frau den Scheidebrief ausstellen. So steht es in der Thora, und auch die Halacha bestätigt, dass ...«
    »Glaubt Ihr, Gottes Gerechtigkeit unterscheidet zwischen Männern und Frauen? Wenn der Mann sich von der Frau trennen kann, weil er etwas Schändliches an ihr entdeckt, dann muss das auch umgekehrt für die Frau gelten.« »Kommt erst mal herein und setzt Euch.«
    Der Rabbiner schloss die Tür nicht ganz, sondern lehnte sie nur an, so dass ein Spalt offen blieb. Gracia wusste, warum. Ein Mann und eine fremde Frau durften nicht ohne Zeugen allein in einem geschlossenen Raum sein, sonst galt ihr Zusammensein als Ehebruch. »Ich wiederhole«, sagte Soncino, während er einen Stuhl für sie frei räumte, »die Scheidung der Ehe kann nur vom Mann ausgehen.«
    »Ich kenne die Mischna, ich habe sämtliche Bücher gelesen. Ein Rabbinatsgericht kann den Mann verurteilen und ihn zwingen, der Frau den Scheidebrief zu geben.«
    »Das Rabbinatsgericht hat gerade erst getagt. Und eine gesonderte Einberufung ist nur in außergewöhnlichen Fällen möglich.« »Ihr müsst es trotzdem tun! Bitte! Dies ist ein außergewöhnlicher Fall!«
    Rabbi Soncino nahm mit einem Seufzer Platz. »Beantwortet mir zuerst einige Fragen. Ich muss sehen, ob Euer Begehren in irgendeiner Weise begründet ist.« Er strich sich über den Bart und schaute sie mit seinen grauen Augen an. »Hat Euer Mann Euch den Beischlaf verweigert?« »Nein, das nicht. Aber er hat ...«
    »Antwortet nur mit Ja oder Nein! Hat er seine Pflicht versäumt, Euch mit Nahrung und Kleidung zu versorgen?« Gracia schüttelte den Kopf. »Hat er Euch betrogen oder misshandelt?« Wieder musste Gracia verneinen. »Leidet er an einer abstoßenden Krankheit?« »Nein, natürlich nicht! Nichts von alledem hat er sich zuschulden kommen lassen. Die Wahrheit ist viel schlimmer! Er ... er ... hat ...«
    Sie konnte nicht weitersprechen, ihre Worte erstickten in Tränen. Rabbi Soncino reichte ihr ein Tuch.
    »Trocknet Eure Augen, damit die Tränen Euch nicht den Blick für die Wahrheit trüben. Und erst dann sprecht: Was ist geschehen? Was hat Euer Mann so Schändliches getan?« Gracia nahm das Tuch und wischte sich das Gesicht. »Habt Ihr von dem Vorfall in Badajoz gehört?« Rabbi Soncino zuckte zusammen, doch nur für einen Augenblick. »Ja, gewiss. Wir haben in der Gemeinde darüber beraten.« »Die Frauen sind zu meinem Mann gekommen, um ihn um Hilfe zu bitten. Ich ... ich habe ihr Gespräch belauscht.« Erneut versagte ihr die Stimme.
    Erst als der Rabbiner ihr mehrmals aufmunternd zunickte, begann Gracia zu sprechen, zögernd und stockend, immer wieder unterbrochen von ihren eigenen Schluchzern, die sie bei der Erinnerung der abscheulichen Szene überkamen: Auf Knien hatten die Frauen ihren Mann angefleht, mit tränennassen Gesichtern hatten sie nach seinen Händen gegriffen, um sie zu küssen, er aber hatte sie nur aufgefordert, ihre Taschen auszuleeren und seinem Agenten Tristan da Costa alles

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