Die Gottessucherin
beleidigen?«, erwiderte Aragon. »Ich habe nur meine Pflicht als spanischer Ehrenmann getan!« Diogo unterdrückte ein Grinsen. »Zählt die Ehre eines Portugiesen geringer als die eines Spaniers?«, fragte er. »Eine Zurückweisung würde mich zutiefst verletzen.«
Zehn Minuten später betraten sie den Goldenen Anker, eine Bierschenke in der Brouwerstraat. Das niedrige, dunkle Lokal unterschied sich in nichts von anderen Kaschemmen am Hafen. In dem rauchigen Gewölbe konnte man kaum die Hand vor Augen erkennen, und es roch sauer von Fusel und Bier. Doch hinter der Schankstube gab es versteckte Kammern mit schwellenden Betten, in denen die teuersten Huren von Antwerpen ihre Freier verwöhnten.
Vor dem Tresen thronte ein rothaariges Weib unbestimmten Alters, mit Brüsten, die weiß und schwammig wie zwei Euter aus dem Ausschnitt ihres Kleides quollen: Die Herrin des Hauses, Mevrouw, die Diogo wie einen alten Bekannten begrüßte. »Wen habt Ihr uns denn heute mitgebracht? Einen Stierkämpfer?«
»Einen stolzen Spanier! Zu dem müssen deine Mädchen ganz besonders freundlich sein«, erwiderte Diogo und führte Aragon am Tresen vorbei zu einem von Kerzen erleuchteten Tisch, wo ein Dutzend halbnackter Schönheiten sie mit gurrendem Lachen und verführerischen Blicken empfing.
»Habt Ihr schon eine Wahl getroffen?«, fragte Mevrouw den spanischen Gast, als der mit Kennerblick das Angebot prüfte. »Wenn Ihr eine Empfehlung erlaubt - die Mulattin da drüben ist frisch von den Antillen. Die kennt keine Sünde, nur den Teufel. Fragt Dom Diogo. Ich glaube, er hatte vor ein paar Tagen das Vergnügen.«
»Vielen Dank«, murmelte Aragon, »aber ich habe mich bereits entschieden.«
Diogo hatte keinen Zweifel, wen der Kommissar meinte: ein blutjunges blondes Mädchen mit weißer Haut und rosigen Wangen,
fast noch ein Kind, von zarter, zerbrechlicher Schönheit. Unter Aragons schamlosen Blicken wurde ihr Gesicht dunkelrot. Diogo pfiff leise durch die Zähne. »Ein Feinschmecker.« Aber Aragon war so sehr in den Anblick des Mädchens und seine Phantasie versunken, dass er ihn gar nicht mehr zu hören schien. Diogo hob die Brauen. Das Mädchen tat ihm jetzt schon leid.
7
Von tausend Teufeln gequält, schaute Cornelius Scheppering hinaus auf die grauen Fluten der Scheide. Der Anblick der träge fließenden Wassermassen war schlimmer als jede Folter, denn sein schmerzhafter Harndrang wurde dadurch ins Unerträgliche gesteigert. Man hatte ihn in den Steen gerufen, die alte Festung am Ufer des Flusses. Kaiser Karl hatte sie kürzlich erneuern lassen, damit seine Schwester Maria eine Unterkunft besaß, wenn sie von der Hauptstadt Brüssel nach Antwerpen kam, um hier ihre Pflichten als Statthalterin der Niederlande zu versehen. Seit über einer Stunde wartete Cornelius Scheppering nun schon darauf, von der Regentin empfangen zu werden, und seine Harnröhre brannte, als hätte man sie mit Chilipfeffer eingerieben. Er kannte diese Qual, sie war ihm nur allzu vertraut, seit Jahren litt er schon darunter, aber in letzter Zeit hatte sich sein Zustand so sehr verschlimmert, dass er kaum noch eine Messfeier durchstehen konnte, ohne Wasser zu lassen. Dabei verschaffte ihm auch die Entleerung der Blase kaum Linderung. Sein Beichtvater hatte ihm geraten, einen Arzt zu konsultieren, aber er wollte keine Hilfe. War das schmerzhafte Brennen des Organs, welches die Ursache so großer Übel in seinem Leben war, nicht die gerechte Strafe für seine Verfehlung?
Um sich abzulenken, betrachtete er das Bildnis der Regentin, das an einer Wand des Turmzimmers hing. Maria hatte ein blasses Pferdegesicht, mit langgestreckter Nase und vorstehendem Kinn, und ihre Augen schienen leer und kalt. Waren sie der Ausdruck ihrer Seele? Cornelius Scheppering wusste, dass die Regentin es nicht leicht gehabt hatte im Leben. Als Tochter von Philipp dem Schönen und Johanna der Wahnsinnigen war sie bereits als einjähriges Kind, das nicht einmal sprechen konnte, mit dem noch ungeborenen Thronfolger Ungarns verlobt worden. Zehn Jahre später sollte sie ihn in Wien tatsächlich heiraten. Doch der König war noch keine zwanzig Jahre alt gewesen, als er nach einer Schlacht gegen die Türken ertrunken in einem Bachbett aufgefunden wurde. Maria hatte ihren Mann so sehr geliebt, dass sie nach seinem Tod alle Heiratsanträge abgelehnt hatte. Stattdessen war sie der Bitte ihres Bruders Karl gefolgt, an seiner Stelle die Niederlande zu regieren, damit er unbelastet von
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