Die Gottessucherin
bestimmbaren Alters, den Gracia noch nie gesehen hatte. Sein offenes und freundliches Gesicht mit den wachen, intelligenten Augen wirkte wie das eines Jünglings, doch sein steifer, hochgeschlossener Mantel und der kegelförmige schwarze Hut verliehen ihm die Würde eines Magistrats, die durch das handtellergroße Feuermal an seiner rechten Schläfe allerdings etwas Unheimliches hatte. »Dr. Lusitanus!«, rief Brianda, und ihr Gesicht, das gerade noch voller Bitterkeit gewesen war, leuchtete auf. »Gott sei Dank, dass Ihr da seid!«
Der Arzt stellte seine Tasche ab und warf einen prüfenden Blick auf das Bett.
»Ihr habt für frische Wäsche gesorgt?«
»Lobt nicht mich, sondern meine Schwester«, erwiderte Brianda. »Sie hat die alten Laken rausgeworfen. Und mein Hausmädchen gleich mit dazu. Weil es sich geweigert hat, das Bett frisch zu beziehen.«
»Eine elende Barbarei der Flamen«, sagte der Arzt. »Die Leute hier halten Reinlichkeit für schädlich und lassen ihre Kranken in schmutzigem Leinen liegen.«
Während er sprach, begann La Chica laut zu schreien.
»Na, das ist aber ein kräftiges Stimmchen.«
»Immer will sie trinken«, seufzte Brianda, »doch es kommt keine Milch.«
Der Arzt setzte sich zu ihr aufs Bett. »Darf ich mal sehen?« Gracia stand auf und wollte gehen, um die Untersuchung nicht zu stören.
»Nein, bleib hier!« Brianda machte ihre Brust frei und sah den Arzt fragend an. »Habt Ihr eine Vermutung, woran es liegen könnte?«
Amatus tastete behutsam ihren milchprallen Busen ab. »Tut das sehr weh?« Brianda nickte.
»Kein Wunder. Die Spitzen sind zu schwach entwickelt und haben sich außerdem durch die Geburtskrämpfe zurückgezogen. Das erschwert das Saugen, und die Milch kann nicht austreten.« »Könnt Ihr Abhilfe schaffen?«
»Ich denke schon.« Er nahm zwei Schröpfgläser aus seiner Tasche und hielt sie mit einer Zange über das Kaminfeuer. »Was macht Ihr da?«, fragte Gracia.
»Eine neue Methode aus Frankreich.« Über die Schulter warf er ihr ein Lächeln zu. »Ihr werdet gleich sehen.« Gracia hatte den Eindruck, dass er sie deutlich länger anschaute als nötig. Was dachte er sich dabei? Sie war kein junges Mädchen mehr, sondern eine Witwe, die das halbe Leben hinter sich hatte. Mit einer Mischung aus Neugier und Trotz hielt sie seinem Blick stand, bis er sich wieder seiner Arbeit zuwandte. Sie hatte von diesem Arzt schon oft reden hören, obwohl er erst seit wenigen Wochen in Antwerpen lebte. Amatus Lusitanus war Professor in Lissabon gewesen, der jüngste der medizinischen Fakultät, und trotz seiner Jugend hatte er schon mehrere Bücher geschrieben, die in ganz Europa benutzt wurden - sogar Dom Jono, der portugiesische König, hatte seine Heilkunst angeblich in Anspruch genommen. Doch dann hatte ein Kollege ihn bezichtigt, er habe Kinder von Christen ermorden lassen, um ihr Blut in seine Arzneien zu rühren. Samuel Usque hatte ihn vor der Inquisition retten können und auf ein Schiff der Firma Mendes gebracht, mit dem er nach Antwerpen geflohen war.
Erneut blickte er über die Schulter. Doch sein Lächeln geriet diesmal zur Grimasse.
»Herrje, ist das heiß!«, rief er mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Habt Ihr Euch verbrannt?«, fragte Brianda. »Kein Wunder«, sagte er und zog die Gläser vom Feuer. »Eure Schwester hat mich abgelenkt.«
»Ich bin mir keiner Schuld bewusst«, behauptete Gracia. »Wirklich nicht?« Wieder sah er ihr tief in die Augen, und wieder schenkte er ihr ein Lächeln. »Schade«, sagte er, als sie den Kopf schüttelte. Dann nahm er mit seiner Zange die beiden Gläser und trat zu Brianda ans Bett. »Tut Ihr mir trotzdem einen Gefallen, Dona Gracia, und kümmert Euch um das Kind, damit ich unsere Patientin behandeln kann?«
Gracia war froh, etwas tun zu können. Während sie ihre Nichte auf den Arm nahm, setzte Amatus Lusitanus die Schröpfgläser auf Briandas Brust, wo sie sich mit einem schlürfenden Geräusch festsaugten. Fast im selben Augenblick konnte man sehen, wie die Brustwarzen hervortraten und die Milch einschoss. »Das ist ja die reinste Hexerei!«, rief Brianda. »Psst, nicht so laut«, lachte Amatus Lusitanus. »Oder wollt Ihr, dass man mich einsperrt? Dabei habe ich doch noch gar kein Honorar verlangt.«
Wenig später trank La Chica schmatzend und zufrieden an der Brust ihrer Mutter. Amatus Lusitanus packte seine Sachen und verabschiedete sich. Doch bevor er die Kammer verließ, blieb er noch einmal in der Tür stehen und
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