Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
und die
Kleine an ihrer Seite sah die Edle herausfordernd an, so
als wolle sie ihr ganz und gar nicht gehorchen. »Schra,
ich und alle, die mit uns gekommen sind, werden Euch
begleiten. Entweder gehen wir alle oder keiner.«
Die Edle nickte und freute sich über soviel Unterstützung. Aber sie machte sich um Schra Sorgen. Die Dorfbewohner hatten das Awarenmädchen schon einmal mißhandelt und gefoltert. Da würden sie sicher nicht davor
zurückschrecken, es ein zweites Mal zu tun. Und diesmal
durften sie wohl nicht darauf hoffen, daß Axis unvermittelt auftauchte und sie rettete.
So setzten die Frauen sich langsam in Bewegung. Mit
jedem Schritt, den sie Smyrdon näher kamen, spürten sie
deutlicher die unnatürliche Kälte, die dieser Ort ausstrahlte.
Nichts rührte sich in dem Dorf. Selbst das Korn auf
den Feldern weigerte sich, sich in der Brise zu wiegen.
Dafür hingen dicke und schwere Schatten über den Häusern, obwohl sich an diesem sonnigen Frühlingstag keine
einzige Wolke am Himmel zeigte.
Faraday hörte hinter sich das Summen des Bardenmeers, das sie antrieb, nun auch noch den letzten Schritt
zu tun und die Wiedervereinigung herbeizuführen.
Niemals würde sie es über ihr Herz bringen, die Bäume zu enttäuschen.
Die Edle bewegte sich an der Spitze, gefolgt von Frau
Renkin und den Awarinnen. Alle bewegten sich in feierlicher Ruhe und erhobenen Hauptes. Stolz strahlte ihnen
aus den Augen. Auf dem blauen Wagen zitterten die letzten Schößlinge vor Aufregung und konnten es gar nicht
erwarten, ihre feinen Wurzeln in den Boden zu strecken.
Doch ein wenig fürchteten sie sich auch, denn dieses
Erdreich hier schien sie nicht unbedingt zu erwarten.
Düster rückte Smyrdon näher.
Nichts regte sich auf den Straßen, als sie an den ersten
Häusern vorbeikamen. Kein Mensch und kein Tier. Weder Blumen noch Gemüse zeigten sich in den Gärten,
dafür frisch umgegrabene schwarze Erde in sauberen
Furchen. Erde, die auf etwas zu warten schien.
Alle Türen waren verschlossen, sämtliche Läden vor
den Fenstern verrammelt. Schweigen lag über allem und
verbarg die finsteren Absichten der Dorfbewohner.
Faraday fühlte sich elend. Sie suchte nach der Kraft
der Mutter, um sich zu stärken, doch das Böse, das hier
lauerte, versperrte ihr den Zugang. Als die Edle sie endlich berühren konnte, erwies sie sich als zu kraftlos. Faraday schluckte. Wie sollte sie hier sich und ihren Wald
verteidigen, wenn ihr nicht einmal die Macht der Mutter,
die Macht der reinen Natur, zur Seite stand?
Artor.
Mochte der Baumfreundin auch keine Annäherung zur
Mutter möglich sein, so spürte sie doch die Anwesenheit
des schrecklichen Gottes. Für sie stellte Er keine unbekannte Macht dar, denn in den ersten achtzehn Jahren
ihres Lebens hatte Faraday voller Inbrunst an den Weg
des Pfluges geglaubt. Doch da hatte sie noch nicht durch
das Sternentor geschaut oder sich in den Armen der Mutter wohlgefühlt. Und in ihren jungen Jahren hatte sie
auch nie die jetzt übelkeiterregende und klebrig anhaftende Gegenwart Artors so gespürt wie hier.
»Achtet auf die Schatten«, mahnte die Bäuerin, und
Faraday zuckte leicht zusammen. Welche Schatten? Wie
sich davor schützen? Und was sollte sie tun, wenn Artor
aus einem dieser Schatten hervortrat?
Aschure, wo bleibt Ihr? schrie sie in Gedanken.
Ein graugesichtiger Mann trat hinter der Ecke eines
Hauses hervor, blieb schweigend stehen und betrachtete
den Zug der Frauen.
Die Edle zögerte. Sollte sie ihn anrufen? Aber nein, er
starrte sie so feindselig an. Vermutlich würde er ihr nicht
antworten. Sie mußte ihren ganzen Mut zusammennehmen, um ihren Weg fortzusetzen.
Nun tauchte eine Frau auf – die Edle hatte nicht bemerkt, von wo sie erschienen war – und zog ein siebenjähriges Kind an der Hand mit sich. Ihre Augen blickten
ebenso feindselig drein wie die des Mannes. Auch sie
blieben wortlos stehen und schauten.
Immer mehr Menschen kamen jetzt aus ihren Häusern
heraus, die schweigend, grau und unbewegt die ganze
Hauptstraße säumten. Männer, Frauen und Kinder, alle
gleich.
Faraday und ihre Gefährtinnen hielten nicht inne. Nur
die Esel, die hinter ihnen den Wagen zogen, wurden unruhig, als sie der Haß der Dorfbewohner zu beiden Seiten
des Wegs traf.
Wenn die Edle mit den Awarinnen vorbeigezogen
war, lösten sich die Menschen von ihrem Platz, folgten
ihnen nach und füllten die Straße, um den Unerwünschten den Rückweg abzuschneiden.
Faraday schritt weiter
Weitere Kostenlose Bücher