Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
aus, obwohl sie deutlich spürte,
wie die Männer, Frauen und Kinder sich hinter ihr zusammenrotteten.
Wie hatte Aschure es hier nur so lange ausgehalten?
Auf dem Dorfplatz hatte sich bereits eine Gruppe
Dorfbewohner eingefunden. Vier Männer und zwei Frauen standen dort beisammen. Auch sie grau und schweigend. Haß und Glaubenseifer in ihrem Blick.
Die Edle blieb einige Schritte vor ihnen stehen. »Ich
heiße Faraday, und ich bin gekommen, um hier anzupflanzen.«
»Hexe«, zischte einer der Männer.
»Hure!« spuckte eine Frau mit anzüglichem Blick auf
ihren hohen Leib vor ihr aus.
»Das ist Faraday«, sagte Bäuerin Renkin, die sich
rechts neben sie stellte, »die Tochter eines Grafen und
Eure ehemalige und jetzt verwitwete Königin. Götter wie
Menschen lieben sie gleichermaßen; denn sie hat einen
Auftrag auszuführen.«
Hordley betrachtete die Bäuerin abfällig. »Ihr habt Euch
in die Irre leiten lassen, gute Frau«, entgegnete er, getrieben
von Artors Macht. »Geht in Euch, und kehrt auf den Weg
der Wahrheit zurück, auf daß Artor Euch vergebe.«
Aber Frau Renkin lachte nur fröhlich, und das verlieh
Faraday neuen Mut. »Zu Artor zurückkehren?« entgegnete die Bäuerin. »Ich habe auf den rechten Weg gefunden, aber es ist nicht der Weg Artors. Spürt Ihr denn
nicht die Gegenwart der Mutter, Dorfältester?«
Die Edle fröstelte, als sie spürte, daß die Menschen
immer näher heranrückten.
Frau Renkin hatte mutig gesprochen, aber Faraday
fühlte, daß sie genauso wenig Kraft der Mutter in sich
vereinigt hatte wie sie selbst. Sie würden nicht mehr von
hier entkommen können.
»Ich muß …« begann die Edle, aber die Rechte des
Dorfältesten schnellte vor und packte sie hart und grob
am Handgelenk.
»Artor erwartet Euch bereits, Hexe!« zischte er. Nun
kamen die Leute von allen Seiten und ergriffen Faradays
Gefährtinnen. Sie hörte Schra kreischen und einen der
Esel ängstlich schreien. Aber als sie sich von Hordley
befreien wollte, packte er nur noch fester zu und schnarrte: »Seid Ihr bereit, Eure Sünden zu beichten?«
Die Gläubigen schleppten und zerrten sie in die Bethalle, die man genau über der Stelle erbaut hatte, an der
Artor erstmals den umherziehenden Menschen erschienen war. Man band die Esel draußen an und schob und
stieß die Gefangenen in das Gebäude.
Diese Halle ähnelte in ihrer Anlage und Einrichtung
ziemlich genau derjenigen, welche Faraday in ihrer Jugend regelmäßig besucht hatte. Und dennoch unterschied
sie sich grundlegend von ihr.
Über der großen Steinhalle spannten sich metallene
Deckenträger, die in den Eisenschmieden im Süden des
Reichs hergestellt worden waren. Die Mauern waren ungeheuer dick, und die hochliegenden kleinen Fenster ließen nur wenig Tageslicht herein.
Bänke oder Sitzreihen gab es in solchen Versammlungsstätten nicht. Wenn die Gläubigen zum Gottesdienst
zusammenkamen, standen sie in ordentlichen Reihen da,
falteten die Hände zum Gebet und hielten demütig den
Blick gesenkt. Die einzige Ausnahme bildete der Altar
des Pfluges an der Ostwand, eine massive und übergroße
Nachbildung des heiligen Werkzeugs. Junge Paare, die
heiraten wollten, knieten davor nieder; Kinder durften an
den Altar, damit sie die Gnade der göttlichen Gabe spüren konnten, und Tote wurden hier aufgebahrt, damit die
Gemeinde sich mit Gebeten von ihnen verabschieden
konnte. An der Wand hinter dem Altar hing das Bildnis
des gewaltigen Gottes, aber hier nur in Eisen ausgeführt.
Kein Vergleich zu den kostbaren Gold- und Silberarbeiten, wie sie früher die Wände des Turms des Seneschalls
schmückten und die Bethallen der reicheren Gemeinden.
Was diesen Saal aber so deutlich von allen anderen
Bethallen unterschied, erkannte Faraday gleich beim Eintreten. Nicht allein die Ausstrahlung kalter, übergroßer
Macht fiel ihr auf, sondern auch das Blut, das zerrissene
Fleisch und die Federn, die den Boden zwischen Altar
und Bildnis bedeckten. Ein widerlicher und süßlicher
Fäulnisgeruch hing in der Luft, der die Edle würgen ließ.
Wainwald Paul, der Sohn des Dorfmüllers, betrachtete
die Edle kalt. Frauen, was für ein schwaches Geschlecht!
Jeder Versuchung gaben sie gleich bereitwillig nach.
Heute sollten sie am Beispiel der Hexe erfahren, was
solche Schwachheiten ihnen einbrachten.
»Sehet!« rief er. »Sehet, wie es denen ergeht, die sich
weigern, das Licht Artors in ihrem Leben anzuerkennen.«
»Ikarier!« keuchte die Edle.
»Fliegendes
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