Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
daß es ihr so schlecht
ging.
Zum wiederholten Mal legte sie eine Hand auf ihren
Leib, und Frau Renkin und Barsarbe sahen sich besorgt
an. In den vier Monaten seit Jultide hatten sich die Spannungen zwischen Faraday und der Magierin weitgehend
gelegt. Das mochte daran liegen, daß die Arbeit ihnen
kaum Zeit für neue Auseinandersetzungen ließ, aber
wohl auch daran, daß beide weitgehend Gespräche über
Axis oder Aschure mieden.
Dabei genoß Faraday durchaus die Anwesenheit der
Awarinnen. Diese Frauen munterten sie auf, und abends
am Lagerfeuer ließ sie sich durch ihre Geschichten unterhalten oder erzählte Schra allerlei Begebenheiten aus
ihrer Zeit als Königin.
Das Waldläufermädchen wuchs der Edlen auch noch
in anderer Hinsicht ans Herz. Frau Renkin entging nicht,
daß in den meisten Nächten nicht Barsarbe, sondern
Schra Faraday zum Heiligen Hain begleitete, um dort
neue Schößlinge zu holen.
Na ja, dachte die Bäuerin, damit hat es ja jetzt ein Ende. Urs Waldgarten war leergeräumt, und die letzten
Bäumchen warteten in einer Kiste auf dem blauen Wagen
darauf, in den Boden eingesetzt zu werden.
Die Aufregung des Waldes hinter ihnen ließ sich geradezu mit Händen greifen. Heute sollte das Bardenmeer
endlich mit Awarinheim vereinigt werden und mit dem
Erdbaum. Wenn dies nicht geschah, wäre damit die letzte
Möglichkeit vertan, und der Pflug würde das Land wieder zurückerobern, das ihm in den letzten Monaten entrissen worden war.
Irgendwo dort vorn zwischen den grauen Häusern und
leeren Straßen lauerte Artor, der Herr des Pfluges.
Auf mit Euch, Herrin, murmelte Frau Renkin halblaut
vor sich hin, nun auch noch frisch den letzten Schritt getan.
Das Dorf hatte sich sehr verändert. Schon immer hatte
die Kirche Smyrdon als eines ihrer Bollwerke angesehen.
Das mochte auf den ersten Blick verwundern, vor allem
wenn man die große Entfernung zwischen diesem Ort
und dem ehemaligen Turm des Seneschalls in Betracht
zog. Doch hatten sich hier oben stets die treuesten Anhänger der Lehre vom Pflug gefunden. Vor vielen Generationen, als die Axtkriege noch in weiter Ferne lagen,
hatte Artor hier Seine ersten Anhänger gewonnen. In
Smyrdon hatte Er Seine Lehre, den Weg des Pfluges,
verbreitet, und hier hatte Artor auch den Menschen Seinen Pflug geschenkt, die bislang sammelnd und jagend
über die Seegrasebenen gezogen waren.
»Dieses Werkzeug wird Euch in die Lage versetzen«,
hatte Er den Seinen verkündet, »den Boden zu bebauen,
Felder anzulegen und diese zu bestellen. Mit dem Pflug
vermögt Ihr, die Erde und damit auch Euch zu zähmen
und zivilisieren. Auf unbebautem Land kann nichts gedeihen, erst recht keine Kultur. Boden, der keine Früchte
trägt, ist nicht nur nutzlos, sondern auch gefährlich. Und
vom ungebändigten Wald geht das Böse aus. Deswegen
rodet den Wald und pflügt den Boden um, damit Ihr reiche Früchte erntet.«
Das hatten Seine Anhänger dann auch getan. Jahrhundertelang wuchs und gedieh die Kultur der Menschen in
dem Maße, wie sie sich mit dem Pflug ausbreitete. Sie
erkannten rasch, wie viele Annehmlichkeiten und Genüsse Artors Geschenk ihnen bescherte – und wieviel Sicherheit sie durch die bäuerliche Gemeinschaft und das
gerodete Land erhielten. Zunächst gingen sie nur vorsichtig zu Werk: Hier und da schlugen sie einen Baum um;
bald schufen sie auch kleinere Lichtungen; und die Spannungen zwischen ihnen und dem Volk des Horns und
dem des Flügels, die sich später in den Axtkriegen entladen sollten, hatten hier ihren Ursprung.
Artor erwählte Smyrdon auch als den Ort, an dem er
Seinem Volk das Buch von Feld und Furche überreichte.
In späteren Generationen geriet im Land bald in Vergessenheit, welche herausragende Rolle das Dorf beim Aufstieg der Lehre vom Pflug gespielt hatte, aber im Ort
selbst gedachte man dieser besonderen Bedeutung wohl.
Nun, da Artor wieder unter ihnen wandelte, erwachte
Smyrdon aus seinem langen Dämmerschlaf.
Und seine Einwohner hatten sich geändert.
Die Bewohner Smyrdons hörten natürlich von den großen Veränderungen im Süden. Und sie konnten auch mit
eigenen Augen sehen, daß immer neue Scharen dieser
geflügelten Ungeheuer über ihnen hinwegflogen. Auch
hatten sie die Wiedergeburt des alten Tencendor miterleben müssen. Und sie klagten einander ihr Leid darüber,
daß die meisten Menschen diese fürchterlichen Neuerungen genauso bereitwillig annahmen, wie sie den Glauben
an den Seneschall und den Weg des
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