Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
vorsticken.«
Der Leutnant verzog das Gesicht, setzte die Plänkelei
aber nicht fort, denn er mußte an die Berichte denken, die
sie bislang erhalten hatten. Das Skrälingsheer hatte offensichtlich Feste und Stadt Gorken verlassen, vermutlich weil sie nicht alle in den Ruinen Platz gefunden und
sich gegenseitig behindert hätten. Wahrscheinlich zog
Timozel es auch vor, die Schlacht auf den windgepeitschten Höhen des Gorkenpasses zu schlagen.
»Jetzt landen sie«, hörte der Leutnant seinen Freund
murmeln und hob den Kopf. Mit raschelndem Gefieder
und einem Rauschen in der Luft setzte Dornfeder kurz
darauf vor ihnen im Schnee auf. Zwei weitere Vogelmenschen landeten hinter ihm, während die restlichen
fünf zu ihren Einheiten weiterflogen, die hinter den Bo
dentruppen lagen.
Der Geschwaderführer verbeugte sich vor ihnen. Er
hatte darauf bestanden, persönlich den Spähtrupp anzuführen, und Axis hatte ihm diesen Wunsch schließlich
ohne weiteres erfüllt. In den vergangenen Wochen und
Monaten hatte der Ikarier sich zu einem hervorragenden
Truppenführer entwickelt. Obwohl seine Gesichtszüge,
wie bei allen Ikariern, bis ins hohe Alter hinein jugendlich frisch waren, hatten Erfahrung und Verantwortungsbewußtsein feine Fältchen um seinen Mund und seine
Augen hinterlassen.
»Sternenmann.«
»Geschwaderführer, was habt Ihr herausfinden können?«
Der Vogelmann zog die Luft scharf durch die Zähne.
»Sie warten, Herr, ungefähr fünf Meilen den Paß hinauf.
Die Skrälinge sind in fester Formation aufgestellt und
warten geduldig … in sicherer Entfernung vom Fluß, auf
dem das Eis gebrochen ist.«
Der Krieger runzelte nachdenklich die Stirn. Wie
könnte er diese Neuigkeiten zu seinem Vorteil nutzen?
»Stehen sie unmittelbar vor den Klippen der Eisdachalpen, Geschwaderführer?«
»Eigentlich nicht, Sternenmann. Eher vier- bis fünfhundert Meter davor.«
Axis warf seinem Leutnant einen Blick zu, ehe er sich
wieder an Dornfeder wandte: »Habt Ihr denn auch Timozel erspähen können?«
»Nein. Er hielt sich wohl irgendwo inmitten seiner
Reihen auf.«
»Und Eiswürmer?«
»Ja. Aber die stehen hinter den Schlachtreihen. Ich
verstehe nicht, was der Feldherr mit ihnen anfangen will,
wenn sie so weit hinten stehen.«
Der Krieger konnte es sich schon eher denken. Eiswürmer dienten hauptsächlich dazu, Mauern und Befestigungsanlagen zu überwinden – darüber hinaus taugten
sie wenig. »Befinden sich auch Greifen in Timozels
Heer?« fragte er vorsichtig.
»Nein, kein einziger«, antwortete der Geschwaderführer und nickte den beiden Kundschaftern hinter Axis zu.
»Wir haben den Paß in seiner gesamten Länge abgeflogen, nur wenige hundert Meter über den Köpfen der
Skrälinge hinweg, und auch in den Schluchten und Übergängen der Alpen nachgeschaut. Aber von den Himmelsbestien war nichts zu sehen. Dabei haben wir …« Er
mußte schlucken; denn die Angst vor den Greifen saß tief
in den Ikariern, » … haben wir ständig mit einem Angriff
dieser Ungeheuer gerechnet. Doch sonderbarerweise
blieben wir davon verschont.«
»Ihr wart Narren, Euer Leben derart aufs Spiel zu
setzen, Geschwaderführer«, beschied Axis ihn unwirsch.
»Aber Ihr brauchtet doch ein möglichst genaues Bild
der Lage, Sternenmann«, verteidigte sich Dornfeder.
»Und wenn irgendwelche Greifen uns angegriffen hätten,
wäre damit klar gewesen, daß Timozel diese Bestien mit
sich führt.«
»Wo mögen sie bloß stecken«, murmelte der Krieger.
Timozel hatte die Greifen offenbar so gut versteckt, daß
nicht einmal die Kundschafter sie aufspüren konnten.
Axis mußte davon ausgehen, daß sie die Bestien wieder
einmal erst dann entdecken würden, wenn sie ihnen bereits auf den Schultern säßen.
»Sternenmann!«
Axis und seine Befehlshaber wandten sich um, um
festzustellen, wer da gerufen hatte.
Ein Reiter kam vom anderen Ende des Lagers herangaloppiert. »Herr!« keuchte er, als er sein Pferd vor der
Gruppe zügelte. »Die Zauberin!« Der Mann zeigte hinter
sich.
Der Krieger stieß Belaguez die Fersen in die Seiten,
und der Hengst tat einen Satz. Binnen weniger Herzschläge befanden Roß und Reiter sich schon südlich des
Lagers und eilten auf die winzige Gestalt zu, die vom
Horizont herannahte.
Beide trafen sie dann in einem Wirbel von Schnee,
Wind und Freude aufeinander. Die Pferde kamen nebeneinander zu stehen, und die Hunde sprangen aufgeregt
umher.
Axis beugte sich vor und hob seine Liebste aus dem
Sattel. Seine Augen strahlten vor Erleichterung und
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