Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
Allein
der Gedanke bestimmte ihr Vorgehen, daß sie Gorgrael
rächen mußten, und das gelang nur, indem sie so vielen
Leben wie möglich ein Ende bereiteten.
Die Wut, mit denen der Zerstörer sie angesteckt hatte,
wuchs noch, als sie in den Kern des Berges gelangten.
Denn so sehr sie auch suchten, sie fanden keine weiteren
Ikarier mehr. So schrien, stolperten, kreischten und
schnüffelten die Greifen …
… und setzten ihre Suche fort und fort und fort.
Wenn Gorgrael, den es allmählich beunruhigte, keine
Verbindung mehr zu ihnen zu haben, ihnen neue Befehle
sandte, erhielt er zur Antwort nur Schatten und Trugbilder, die durch seinen Geist tanzten. Bald hielt es den Zerstörer nicht mehr, und er rannte brüllend und kreischend
durch seine Eisfestung.
Die Himmelsbestien aber jagten weiter die Schatten,
versuchten, sie zu zerreißen, verdrossen, angesichts der
Vergeblichkeit ihrer Mühen, und wurden doch immer
tiefer in das Berginnere gelockt.
Tage sollten vergehen, ehe die ersten von ihnen völlig
erschöpft den ganzen langen Weg wieder nach oben krochen und nach noch viel längerer Zeit den Weg zurück in
die Außenwelt fanden.
19 A UFBRUCH
Aschure reiste am Nachmittag ab, weil sie wußte, wie
dringend Axis sie brauchte. Sie würde wieder auf den
Schwingen der Macht reisen müssen, um noch rechtzeitig
oben im Norden einzutreffen. Die Zauberin beschloß,
Caelum mitzunehmen. Der Knabe hätte sich mit Händen
und Füßen dagegen gewehrt, nach allem schon wieder
allein gelassen zu werden. Außerdem wollte Aschure ihn
nicht noch einmal für länger missen.
»Aber, aber!« rief Rivkah und eilte zu Venator, der
gesattelt im Burghof stand. »Ihr könnt doch nicht den
kleinen Jungen mitnehmen! Schließlich reitet Ihr in den
Krieg! Wo habt Ihr nur Eure Gedanken?«
»Ich denke vor allem daran«, gab Aschure mit fester
Stimme zurück, »daß Caelum, als ich ihn das letzte Mal
in der ›Sicherheit‹ Sigholts zurückließ, von Gorgrael entführt wurde. Wo kann der Junge also wirklich in Sicherheit sein, Rivkah? Doch wohl nur bei mir oder bei Axis.«
Aber dann besann sie sich eines Besseren. Schließlich
wollte sie Rivkah nicht voller Sorgen oder im Ärger zurücklassen. »Schaut, Schwiegermutter, ich reite doch
nicht mit ihm gegen den Feind. Oben werde ich sicher
ein Fleckchen finden, wo ich ihn für die Dauer der
Kämpfe unterbringen kann.«
»Was? Im Norden von Ichtar?« murmelte Rivkah, und
dann änderte sich von einem Augenblick auf den anderen
ihre Miene. »Aschure, wo zieht Ihr hin, sobald die
Schlacht geschlagen ist? Wohin führt Euch Euer Weg
von der Feste Gorken aus?«
»Das habe ich mir noch nicht so recht überlegt. Vermutlich nach Rabenbund.«
»Aschure, werdet Ihr rechtzeitig zur Geburt meines
Sohnes wieder zurück sein?«
»Rivkah, ich …« stammelte die junge Frau, »ich weiß
nicht so recht … wir wissen doch noch gar nicht, was uns
nach dem Feldzug erwartet …«
Ihre Schwiegermutter senkte den Blick, und Aschure
nahm ihre Hand. »Rivkah, ich werde sehen, was sich
machen läßt. Bis zur Niederkunft sind es doch noch sechs
Wochen, nicht wahr?«
»Bitte, meine Tochter«, sagte die Ältere mit Tränen in
den Augen, »ich möchte gern, daß Ihr bei der Geburt
zugegen seid.«
»Vertraut Ihr mir, daß ich mein Möglichstes versuchen
will?«
Rivkah atmete vernehmlich auf. »Ja. Ja, ich vertraue
Euch, Aschure. Ich möchte Euch wirklich dabeihaben …
denn ich fürchte mich davor …«
»Ich will es wirklich versuchen«, sagte die Jägerin.
»Mehr kann ich Euch nicht versprechen.«
Rivkah nickte wieder, versuchte sich zu beherrschen
und trat einen Schritt zurück, damit ihre Schwiegertochter aufsteigen konnte. »Dann wünsche ich meinem Sohn,
meinem Gemahl und vor allem Euch, Aschure, für die
bevorstehende Schlacht das Glück und den Mut der Götter.«
Lächelnd und weinend zugleich fügte sie hinzu: »Und
sorgt dafür, meinen Enkelsohn heil wieder zurückzubringen.«
Die junge Frau lächelte und schwang sich dann auf ihren Hengst. Sie hatte sich Caelum in einem Gurt auf den
Rücken gebunden und trug den Köcher nun an der Hüfte.
Der Wolfen hing wie gewöhnlich über ihrer Schulter,
und die Alaunt hatten sich bereits rings um Venator versammelt.
»Also los!«
Eben noch stand sie neben Rivkah, und eine Minute
später war von ihr schon nichts mehr zu sehen. Rivkah
blieb nichts weiter als ein unscharfes Bild von einem
dahinrasenden Roß und Aschures langem Haar, das
Weitere Kostenlose Bücher