Die Gouvernante und ihr geliebtes Ungeheuer („Geliebte Widersacher“) (German Edition)
einen Stein auf Miss Barton warf, wäre Hugo imstande, einen kaltblütigen Mord zu begehen. Er würde nie eines seiner Ziele erreichen, wenn er wegen Mordes am Galgen endete.
Außerdem ging es vor allem darum, Clermonts Namen aus der Sache herauszuhalten. Wenn sie als Schlampe abgestempelt wurde, würden die Klatschbasen nur wenige Stunden benötigen, zu entscheiden, mit wem sie Schlampe gewesen war.
Es gab bessere Wege, sie loszuwerden. Der Druck, den er bis dahin ausgeübt hatte, war bloß ein Kinderspiel.
Er wollte es nicht tun. Er mochte sie. Er bewunderte sie. Sie hatte etwas an sich, das ihm keine Ruhe ließ. Es ging ihm entschieden gegen den Strich, die Träume und Zukunftspläne einer jungen Frau wie ihr zu zerstören.
Umso mehr Grund, dass sie weg musste. Jedes Mal, wenn er mit ihr sprach, verstrickte er sich weiter darin.
Es war an der Zeit, ernsthaft seine Muskeln spielen zu lassen. Gordon war nicht der einzige Mann, den er ausgesandt hatte, Erkundigungen einzuholen. Er winkte den anderen Mann ein paar Schritt zurück, wandte sich vom Fenster ab und öffnete die Akte, die er über Miss Barton angelegt hatte.
Momentan lebte Miss Barton mit ihrer Schwester Miss Frederica Barton in einer Mansarde in Cheapside. Die ältere Miss Barton bestritt ihren Lebensunterhalt aus einer Rente bei Daughtry’s Bank.
„Nein“, wiederholte er, mehr um sich selbst zu überzeugen als sonst etwas. „Es ist an der Zeit, die Sache zu beenden.“
Sie war hübsch und tapfer und viel zu stur. In einer anderen Welt hätte er eine Frau wie sie umworben, bis er sie für sich selbst gewonnen hatte. Er hätte die Anziehung zwischen ihnen angefacht, bis es ein knisterndes Feuer geworden war. Aber er hatte keine Geduld für sehnsüchtige Träume. Tief innerlich sehnte er sich nicht nach Gesellschaft.
Es war vielleicht nett, sie für sich zu bekommen. Aber es war nicht das Verlangen nach einer Frau, das ihm den Schlaf raubte. Er wachte auf und erinnerte sich an seinen Vater, wie er mit einem Besen in der Hand über ihm stand, sein Atem nach Alkohol stank.
Du wirst es niemals zu irgendetwas bringen. Dein dreckiges Leben ist die blutigen Lumpen nicht wert, die du trägst.
Nein. Da gähnte ein Abgrund von Sehnen in ihm, aber keine Frau konnte ihn füllen. Egal, wie entschlossen einem diese auch in die Augen schaute.
Hugo griff nach seinem Tintenfass und tunkte die Federspitze darin ein. Gordon beobachtete, wie er etwas auf das Blatt Papier vor sich schrieb, es versiegelte und die Anschrift hinzufügte, bevor er es ihm reichte.
„Stellen Sie das hier zu“, sagte er.
F ÜR S ERENA WAR ES EIN LANGER T AG gewesen, der noch länger geworden war durch die simple Tatsache, dass nichts geschehen war. Sie hatte Mr. Marshall gesagt, er solle sein Schlimmstes tun. Aber er hatte die Bank einfach mit anderen Leuten besetzt und sie in Ruhe gelassen.
Nach ihrem Tête-à-Tête auf der Bank, hatte sie mit etwas gerechnet. Irgendetwas statt einfach nichts.
Mit einem Seufzen öffnete sie die Tür zur Wohnung ihrer Schwester.
„Freddy?“, rief sie.
Freddy antwortete nicht. Im Zimmer war es zu still. Es war weder das Klacken von Stricknadeln zu hören noch das Rascheln von Stoff. Aber die Sachen ihrer Schwester hingen noch in der Diele, und außerdem wäre sie nie ausgegangen. Nicht so knapp vor der Dämmerung. Serena runzelte die Stirn und betrat den anderen Raum.
Freddy saß auf ihrem Stuhl, die Arme fest um sich geschlungen. Sie wippte vor und zurück und zitterte am ganzen Körper. Auf dem Boden lag in einem armseligen Haufen eine halbfertige Babydecke.
„Freddy, was ist denn nur los?“
„Lies“, sagte Freddy. Ihre Stimme bebte. Sie deutete mit einer Bewegung ihres Kinns auf den Tisch vor sich. „Lies es.“
Auf dem Tisch lag ein Brief. Serena wusste nicht, was sie denken sollte. Sie nahm ihn und überflog ihn rasch. Er stammte von Freddys Vermieter. „Es ist mir zu Ohren gekommen …“ las sie halblaut. Aber ihr stockte der Atem bei dem nächsten Satz. Sie konnte diese Worte nicht aussprechen. Als sie am Ende ankam, war sie atemlos vor Wut.
Sie hatte gedacht, das Ungeheuer von Clermont habe sie heute in Ruhe gelassen. Ha. Sie blickte zu ihrer Schwester, die die Arme fest um sich geschlungen hatte. Es war eine Sache, Serena selbst zu ärgern, aber es war eine völlig andere, Freddy etwas anzutun.
Freddy hatte nichts mit diesem Streit zu tun. Sie hatte niemandem je etwas getan – nicht seit jener grässlichen Nacht, als
Weitere Kostenlose Bücher