Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2
sich im bestialischen Grinsen der vorgebeugten Fratze! Das Kind war zur Regungslosigkeit erstarrt, gleich einem Vogel unter dem hypnotisierenden Blick der Schlange. Die wartende Menge regte sich nicht mehr, gab nicht einmal mehr ein Flüstern von sich …
Ich vermag mich nicht zu erinnern, was dann geschah: Sooft ich mein Gedächtnis befrage, breitet sich lediglich eine Wolke aus Entsetzen und Dunkelheit in meinem Bewusstsein aus. Ich muss aus dem Tempel geflohen und im Sternenlicht über die Insel gehastet sein, doch auch hiervon finde ich nichts mehr in meinem Gedächtnis wieder.
Meine erste bewusste Erinnerung zeigt mir, wie ich durch den engen Spalt, der mich in die Lagune geführt hatte, seewärts ruderte und anhand der verdrehten und verzerrten Konstellation der Sterne einen günstigen Kurs einzuschlagen suchte. Danach folgten Tage auf einer glatten, unbewegten See unter einem Himmel von blendender Leuchtkraft und weitere Nächte unter den wahnsinnigen Sternen, bis die Zeit zu einer Ewigkeit gequälter Müdigkeit verfiel … Bald waren meine Lebensmittel und mein Wasser zur Gänze verbraucht und Hunger und Durst und ein hitziges Tropenfieber voller schüttelnder, brodelnder Halluzinationen dominierten meine Wahrnehmung.
Eines Nachts kam ich für eine kurze Weile zu mir und lag auf dem Rücken, das Gesicht dem Himmel zugewandt. Erneuert strahlten dort die Sterne – die Sterne des richtigen Himmels, jenem, den ich kannte. Ich dankte Gott dem Herrn für den Ausblick auf das Kreuz des Südens, ehe ich wieder zurücksank in Koma und Delirium. Als ich abermals das Bewusstsein zurückerlangte, lag ich in einer Schiffskabine und ein Arzt beugte sich besorgt über mich.
Alle waren sehr freundlich zu mir auf diesem Schiff. Doch sobald ich begann, meine Geschichte zu erzählen, bedachten sie mich mit einem mitleidigem Lächeln, sodass ich nach einigen solcher Anläufe beschloss, lieber zu schweigen. Neugierig waren sie wegen der beiden Ruder mit den silberverzierten Griffen und der bemalten Krüge, die sie bei mir im Boot gefunden hatten, doch meinen Erklärungen schenkten sie keinen Glauben. Eine solche Insel und ein solches Volk könne es unmöglich geben, sagten sie, denn Ersteres stand im Widerspruch zu sämtlichem Kartenmaterial, das jemals angefertigt wurde, und Letzteres strafte sämtliche Ethnologen Lügen.
Oft wunderte ich mich selbst darüber, denn es gibt so viele Dinge, die ich mir nicht erklären kann. Existiert ein Teil des Pazifiks, welcher sich über Zeit und Raum hinaus erstreckt – eine ozeanische Vorhölle, in welche diese Insel durch die unerklärliche Katastrophe eines vergangenen Zeitalters verschlagen wurde, so wie auch Lemuria unter den Wellen versank? Wenn ja, durch welche Aufhebung der Dimensionsgesetze war ich befähigt worden, diese Insel zu erreichen und ihr wieder zu entfliehen?
Diese Angelegenheiten entziehen sich jeder Mutmaßung. Doch oft sehe ich in meinen Träumen die zur Unkenntlichkeit verzerrten Sternkonstellationen wieder und teile die Verwirrung und Verblüffung jenes verlorenen Volkes, wie es über seinen nutzlosen Karten grübelt und den höchsten Stand einer aus der Bahn geworfenen Sonne misst.
Das Ungeheuer aus der Prophezeiung
Ein trüber, nebelfeuchter Nachmittag wich allmählich dem Zwielicht der Dämmerung, als Theophilus Alvor auf der Brooklyn Bridge stehen blieb, um hinab auf den düsteren Fluss zu blicken. Ihn überlief ein Schauder, und er fragte sich, wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn er sich in die kalten, schlammigen Fluten stürzte. Auch bewegte ihn, ob er wohl den nötigen Mut aufbringen würde für eine Tat, die, wie er sich einredete, nun unvermeidlich war – der einzige Ausweg, der ihm jetzt noch blieb. Er war zu müde, mutlos und niedergeschlagen, um den Albtraum seiner Existenz weiterzuführen.
Vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet, gab es zweifellos mehr als genügend Gründe für Alvors Niedergeschlagenheit. Jung, den Kopf noch voller Ideen und unerfüllter Erwartungen, war er vor drei Monaten in der Hoffnung, einen Verleger zu finden, aus einem hinterwäldlerischen Dorf nach Brooklyn gezogen; doch trotz – vielleicht auch gerade wegen – ihres glühenden Einfallsreichtums waren seine klassischen, altmodischen Gedichte sowohl von Zeitschriften als auch von sämtlichen Buchverlagen unisono abgelehnt worden.
Obwohl Alvor sparsam lebte und seine Unterkunft so bescheiden war, dass sie beinahe dem sprichwörtlichen Dachstübchen des armen
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