Die Graefin Charny
Kerze nach und nach matter brannte; bald wurde die bisher weiße Flamme rot, und dann bläulich, flackerte plötzlich auf, wie durch einen unsichtbaren Hauch angeblasen, und erlosch endlich.
Die Königin hatte dem Erlöschen des Lichtes mit Entsetzen zugesehen, ihr Atem stockte, ihre ausgestreckten Hände näherten sich dem Kandelaber, je matter das Licht wurde; und als es endlich erlosch, sank sie in ihren Sessel zurück. So saß sie etwa zehn Minuten mit geschlossenen Augen, und als sie sie wieder aufschlug, bemerkte sie zu ihrem Schrecken, daß auch die dritte Kerze matter zu brennen begann, wie es mit den beiden ersten der Fall gewesen war.
Marie Antoinette glaubte anfangs, es sei ein Traumgesicht, sie versuchte aufzustehen, aber es war ihr, als ob sie an den Sessel festgebannt wäre; sie machte einen Versuch, die Prinzessin zu rufen, aber die Stimme erstarb ihr im Munde. Sie suchte den Kopf zu drehen, aber ihr Kopf blieb starr und unbeweglich, als ob das dritte erlöschende Licht ihren Blick und ihren Atem in sich gesogen hätte. Endlich veränderte auch das dritte, wie zuvor das zweite, mehrmals die Farbe, flackerte auf, schwankte hin und her und erlosch.
»Das Erlöschen der drei Kerzen«, sagte die Königin laut, »soll mich nicht kümmern, aber wehe mir, wenn auch die vierte erlischt, wie die andern!«
Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, so erlosch das vierte Licht, ohne daß es die Farbe wechselte, ohne daß es aufflackerte und schwankte, als ob der Tod die Kerze mit seinem Flügel berührt hätte.
Die Königin schrie vor Entsetzen laut auf; sie sprang auf, drehte sich zweimal im Kreise, streckte die Arme aus und sank ohnmächtig nieder.
In dem Augenblicke, als sie zu Boden fiel, ging die Tür des Nebenzimmers auf, und Andrea im weiten weißen Nachtgewande erschien auf der Schwelle.
Sie bettete den Kopf der Königin in ihren Schoß, und nach vielen Mühen gelang es ihr, diese aus ihrer tiefen Ohnmacht zu befreien.
»Die Gräfin von Charny!« rief Marie Antoinette und ließ Andrea schnell los; es war fast, als ob sie sie zurückstieße.
Weder diese Bewegung, noch das Gefühl, das sie hervorgerufen, entging der Gräfin. Aber im ersten Augenblicke blieb sie unbeweglich. Dann trat sie einen Schritt zurück.
»Befehlen Eure Majestät, daß ich Ihnen beim Auskleiden helfe?« fragte sie.
»Nein, Gräfin, ich danke«, antwortete die Königin mit bewegter Stimme. »Ich werde mich allein auskleiden, gehen Sie in Ihr Zimmer, Sie werden müde sein.«
»Ich will in mein Zimmer gehen,« antwortete Andrea, »aber nicht, um zu schlafen, sondern um über den Schlaf Euer Majestät zu wachen.«
Sie verneigte sich ehrerbietig vor der Königin und entfernte sich mit langsamen, feierlichen Schritten.
4. Kapitel
An demselben Abend, wo sich dies zutrug, war die Lehranstalt des Abbé Fortier durch ein nicht minder bedeutendes Ereignis in Schrecken gesetzt worden.
Sebastian, der Sohn des Grafen Gilbert, war gegen sechs Uhr abends verschwunden, und trotz der sorgfältigsten Nachforschungen hatte man ihn bis Mitternacht nicht wiederfinden können.
Er hatte sich nach Haramont aufgemacht, um seinen Freund Pitou aufzusuchen, der mit ihm zusammen bei dem Abbé Fortier erzogen worden war.
Wir erinnern uns,daß Ange Pitou nach dem Gelage, das die Nationalgarde von Haramont sich selbst zu Ehren veranstaltet hatte, seiner Freundin Katharina nachgeeilt war; diese war nach dem Abschied von ihrem Geliebten, Isidor von Charny, auf dem Wege von Villers-Cotterets nach Pisseleux ohnmächtig zusammengebrochen.
Sebastian Gilbert, der davon nichts wußte, begab sich geradeswegs zu Pitous Hütte; da er aber seinen Freund nicht antraf, schrieb er ihm folgende Zeilen:
»Mein lieber Pitou!
Wie ich höre, ist das Volk nach Versailles gezogen und hat viele Menschen getötet, unter andern Georges von Charny. Ich habe große Angst um meinen Vater, der ein Feind der Aristokraten ist. Nun bin ich hier, um dich zu bitten, mich nach Paris zu begleiten. Ich zweifle durchaus nicht an deiner Bereitwilligkeit, gehe aber schon vor, da ich dich nicht antraf.
Beruhige den Abbé Fortier über mein Verschwinden, aber erst morgen, damit er mich nicht verfolgen kann.
Dein Sebastian.
Wir würden die Unwahrheit sagen, wenn wir behaupten wollten, Sebastian Gilbert sei ganz ruhig und unbefangen gewesen, als er in der Nacht eine so lange Reise unternahm; aber er hatte sein fünfzehntes Jahr beinahe vollendet, und ein Knabe von Sebastians
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