Die Graefin Charny
Todesgange zu begleiten.«
»Mein Gott,« erwiderte Clery zitternd, »warum soll ich ihn denn begleiten?«
»Um ihn zu entkleiden; du bist ja sein Kammerdiener.«
»Nein, er kann hier bleiben,« sagte ein anderer; »der Nachrichter ist gut genug dazu.«
Der Tag begann zu grauen; in allen Sektionen von Paris wurde Generalmarsch geschlagen. Dieser Lärm drang bis in den Turm und erfüllte den Abbé Edgeworth und Clery mit Entsetzen.
Aber der König war ruhiger als je, er lauschte einen Augenblick und sagte ganz gelassen:
»Wahrscheinlich wird die Nationalgarde ausrücken.«
Nach einer Weile marschierte Kavallerie in den Hof. Man hörte die Hufschläge der Pferde und die Stimmen der Offiziere.
Der König lauschte wieder und sagte mit derselben Ruhe:
»Sie scheinen näher zu kommen.«
Von sieben bis acht Uhr klopfte man mehrmals unter verschiedenen Verwänden an die Tür des Kabinetts, und jedesmal erwartete der Abbé zitternd, es sei das letztemal.
Aber jedesmal stand der König auf, ging ohne die mindeste Unruhe an die Tür, antwortete den Personen, die ihn in seiner Andacht störten, und setzte sich dann wieder zu seinem Beichtvater.
Um neun Uhr endlich wurde das Geräusch stärker und die Türen gingen auf. Santerre erschien mit sieben bis acht Kommissaren und zehn Gendarmen, die sich in zwei Reihen aufstellten.
Als der König das Geräusch hörte, trat er aus dem Kabinett, ohne das Anklopfen abzuwarten.
»Sie wollen mich abholen?« sagte er.
»Ja.«
»Warten Sie nur eine Minute.«
Er ging wieder in das Zimmer und schloß die Tür hinter sich.
»Jetzt muß ich gehen, die Scheidestunde hat geschlagen«, sagte er zu dem Abbé Edgeworth, und er kniete vor ihm nieder. »Geben Sie mir Ihren letzten Segen und bitten Sie Gott, daß er mir bis ans Ende beistehe.«
Als der König den Segen erhalten hatte, stand er auf, öffnete die Tür und ging auf die im Schlafzimmer stehenden Kommissare und Gendarmen zu.
Alle hatten den Hut auf dem Kopfe.
»Meinen Hut, Clery«, sagte der König.
Clery holte schluchzend den Hut.
»Ist unter Ihnen vielleicht ein Mitglied des Gemeinderats?« fragte Ludwig XVI.; »Sie, glaube ich?«
Er wandte sich an einen Beamten, namens Jacques Roux, der ein beeideter Priester war.
»Was wünschen Sie?« fragte dieser.
Der König zog sein Testament aus der Tasche.
»Ich ersuche Sie,« sagte er, »der Königin ... meiner Gemahlin, diese Schrift zu übergeben.«
»Wir sind nicht hierher gekommen,« antwortete Jacques Roux, »um Bestellungen für dich zu machen, sondern um dich zum Blutgerüst zu führen.«
Der König nahm die Beleidigung mit derselben Sanftmut und Gelassenheit hin, wie Christus, und wandte sich an einen andern Beamten, namens Gobeau.
»Wollen Sie meine Bitte nicht erfüllen?«
Der Mann schien unschlüssig zu sein, und der König setzte hinzu:
»Oh, Sie können die Schrift lesen, es sind sogar Bestimmungen darin, die ich zur Kenntnis des Gemeinderats zu bringen wünsche.«
Der Munizipalbeamte nahm das Testament.
Clery hatte inzwischen nicht nur den Hut, sondern auch den Überrock geholt; aber der König sagte:
»Nein, Clery, geben Sie mir nur meinen Hut.«
Clery reichte ihm den Hut; der König benutzte diese Gelegenheit, um ihm noch einmal die Hand zu drücken.
Dann sagte er mit befehlendem Tone, den er so selten in seinem Leben angenommen hatte:
»Kommen Sie, meine Herren!«
Dies waren die letzten Worte, die er in seinem Gefängnis sprach.
Auf der Treppe begegnete ihm der Pförtner des Turmes, Mathay, den er zwei Tage vorher an seinem Kaminfeuer sitzend gefunden und etwas unwillig aufgefordert hatte, ihm seinen Platz zu überlassen.
»Mathay,« sagte er, »ich habe Sie vorgestern etwas hart angeredet, zürnen Sie mir deshalb nicht.«
Mathay lehrte ihm den Rücken zu, ohne zu antworten.
Der König ging zu Fuß über den ersten Hof; er sah sich zwei- oder dreimal um und warf der Gattin, seiner einzigen Liebe, der Schwester, seiner einzigen Freundschaft, den Kindern, seiner einzigen Freude, den letzten Scheideblick zu.
Am Eingange des Hofes hielt ein grüner Wagen; zwei Gendarmen standen am Kutschenschlage. Als sich der König näherte, stieg der eine zuerst ein und setzte sich auf den Rücksitz; dann stieg der König ein und gab dem Abbé Edgeworth einen Wink, an seiner Seite Platz zu nehmen. Der andere stieg zuletzt ein und schloß die Wagentür.
Um ein Viertel zehn Uhr fuhr der Wagen ab.
Jetzt noch ein Wort über die Königin, über Madame
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